Schwächeres Lohnwachstum ebnet Weg für Zinssenkung der EZB
Lohndaten ebnen Weg für Zinssenkung
Wachstum der Tarifverdienste in der Eurozone schwächt sich deutlich ab – Deutschland sticht hervor
Der deutliche Rückgang des Wachstums der Tariflöhne im Euroraum dürfte kaum noch Restzweifel an einer Zinssenkung der Europäischen Zentralbank im September übrig lassen. Auch wenn manche Ökonomen warnen, dass die Lohndaten für die Notenbank nicht so rosig sind, wie sie auf den ersten Blick aussehen.
mpi Frankfurt
Die Tariflöhne in der Eurozone haben im zweiten Quartal deutlich schwächer zugelegt als noch zu Beginn des Jahres. Eine Zinssenkung der EZB im September um 25 Basispunkte dürfte damit so gut wie sicher sein, auch wenn vor der kommenden Zinssitzung noch die Erstschätzung der Euro-Inflation für August aussteht.
Die Tariflöhne legten von März bis Juni um 3,55% zu, wie die EZB am Donnerstag mitteilte. Das ist deutlich weniger als in den vergangenen fünf Quartalen, in denen das Lohnwachstum stets über 4% lag und auch keinen abnehmenden Trend zeigte. Zu Beginn des Jahres stiegen die Tariflöhne noch um 4,74%.
Wie stark treibt der demografische Wandel die Löhne?
Die Lohnentwicklung steht derzeit unter besonderer Beobachtung der Notenbanker. Das deutliche Lohnwachstum treibt die Preise insbesondere im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor. Das wiederum verhindert einen schnelleren und deutlicheren Rückgang der Inflationsrate. Wie aus Daten des Statistikamts Eurostat hervorgeht, sind rund 70% der aktuellen Inflationsrate von 2,6% auf Preissteigerungen im Dienstleistungssektor zurückzuführen. Da die Erzeugerpreise bereits seit längerem signalisieren, dass bei der Wareninflation kaum noch mit einer weiteren Entspannung zu rechnen ist, muss die Dienstleistungsinflation und damit das Lohnwachstum nachlassen, damit die EZB ihr Ziel von 2% erreicht.
Die EZB kalkuliert bei ihrer Inflationsprognose für 2025 mit einem Rückgang der Lohndynamik. Sie dürfte sich nun durch die neuen Daten in dieser Annahme bestätigt sehen. „Während es später im Jahr noch positive Überraschungen beim Lohnwachstum geben könnte, machen die heutigen Zahlen zum Lohnwachstum eine Senkung um 25 Basispunkte im September noch wahrscheinlicher“, sagt Bert Colijn, Volkswirt bei der ING.
Noch keine Entwarnung
Eine wichtige Frage ist, ob das derzeit immer noch relativ hohe Lohnwachstum ein Nachholeffekt nach Jahren der Reallohnverluste ist oder auch eine Folge des demografischen Wandels und des damit verbundenen Fachkräftemangels. Je gewichtiger die strukturelle Komponente bei den Lohnverhandlungen ist, desto höher dürfte das Lohnwachstum auch mittelfristig bleiben.
Ökonomen weisen zudem darauf hin, dass die EZB auch nach dem jetzigen Rückgang des Lohnwachstums nicht sorglos werden sollte. „Man muss sagen, dass das Lohnwachstum angesichts des schwachen Produktivitätswachstums immer noch zu hoch für das Inflationsziel von 2% ist“, führt Colijn an. Er geht jedoch davon aus, dass sich das Lohnwachstum weiter abschwächt.
Deutschland sticht hervor
Weniger zuversichtlich zeigt sich Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price. „Die Daten sind nicht so rosig, wie sie scheinen“, sagt er. Wieladek verweist darauf, dass die Lohnerhebung des Jobportals Indeed zuletzt einen Anstieg verzeichnet hat. „Die EZB hat stets argumentiert, dass die Indeed-Umfrage ein sehr guter Frühindikator für die nächsten 6 bis 9 Monate ist“, erklärt er. Zudem ist der ebenfalls am Donnerstag veröffentlichte PMI-Preisindex für den Dienstleistungssektor erneut angestiegen. Dieser gilt als guter Indikator für die künftige Dienstleistungsinflation.
Weniger Freude dürfte die Europäische Zentralbank derzeit zudem beim Blick auf die größte Volkswirtschaft der Eurozone haben. Denn in Deutschland ist das Lohnwachstum überdurchschnittlich hoch. Die Tarifverdienste nahmen hierzulande ohne Berücksichtigung von Sonderleistungen wie Inflationsausgleichsprämien im Frühjahr um 4,2% zu. Das teilte die Bundesbank vor einigen Tagen mit. „Die dauerhaften Lohnsteigerungen gewinnen an Bedeutung“, heißt es im Monatsbericht August der Notenbank. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften seien zudem weiterhin hoch. Sie bewegen sich derzeit zwischen 7% und 19% für eine Laufzeit von zwölf Monaten.