DER TAG NACH DER BUNDESTAGSWAHL

Schwarz-Gelb-Grün kein Schreckgespenst

Wirtschaft sieht in einem Jamaika-Bündnis auch "klare Chancen" - Hoffnung auf stabile Regierung und mehr Investitionen

Schwarz-Gelb-Grün kein Schreckgespenst

Industrie und Finanzbranche hoffen auf rasche Koalitionsverhandlungen und eine stabile Regierung. Dabei werden in einer möglichen Jamaika-Koalition durchaus auch Chancen gesehen.ge Berlin – Nach der heftigen Wahlschlappe für die Parteien der bisherigen großen Koalition bei der Bundestagswahl dringen Industrie und Finanzwirtschaft auf rasche Koalitionsverhandlungen für eine stabile Regierung und mehr Investitionen in Zukunftsbereiche. “Jede Woche zählt, wenn es darum geht, Deutschland zukunftsfähig zu machen”, mahnt Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), angesichts der absehbar schwierigen Gespräche über ein mögliches schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis sowie der politischen Zurückhaltung vor der Niedersachsen-Wahl in knapp drei Wochen.Zugleich forderte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), mehr Investitionen in kluge Köpfe, moderne Infrastruktur und Freiraum für Unternehmen. Denn eine Umfrage bei Mitgliedsunternehmen unmittelbar vor der Wahl habe gezeigt, dass die Firmen die wirtschaftliche Lage Deutschlands heute zwar erheblich besser bewerteten als vor der vergangenen Bundestagswahl 2013. Die meisten Standortfaktoren würde dagegen schlechter bewertet als vor vier Jahren.Die ein oder andere Interessenvertretung, wie etwa der Bundesverband deutscher Banken (BdB), votierte nach der Wahl für ein Jamaika-Regierungsbündnis. “Eine Koalition aus Union, FDP und Grünen ist keine Notlösung, sondern sollte vielmehr als Chance begriffen werden”, sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. Eine solche Koalition könne den Standort Deutschland stärken, “denn zentrale Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Bildung und Integration würden sicherlich in den Mittelpunkt der Regierungsarbeit rücken.” Gerade auf diesen Feldern scheine die Übereinstimmung bei Schwarz-Gelb-Grün größer zu sein als der Gegensatz. “Eine stabile Jamaika-Koalition hätte somit die klare Chance, Deutschland zukunftsfähig auszurichten”, sagte Kemmer. Ähnlich argumentierte das Handwerk. Zwar befürchtet der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, monatelange Koalitionsverhandlungen – und damit Stillstand. Eine Jamaika-Koalition berge aber auch “die Chance, Zukunftsthemen mit neuen Lösungsansätzen anzugehen und Deutschland einen Modernisierungsschub zu geben, auf der Grundlage eines durchaus breiten gesellschaftlichen Konsenses”. AfD-Erfolg “schockierend”Als “Weckruf und Ansporn für die deutsche Demokratie zugleich” wertete der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland, das Wahlergebnis, das ein Umbruch in der deutschen Parteienlandschaft sei. Schweitzer warnte, angesichts fehlender Fachkräfte – inzwischen das zweitgrößte Manko hierzulande bei der DIHK-Umfrage – könne sich die hiesige Wirtschaft keine Ausländerfeindlichkeit leisten. Folglich löste das Wahlergebnis der AfD, die mit 12,6 % drittstärkste Kraft im Bundestag wird, auch in der Wirtschaft besorgte Reaktionen aus. “Die AfD im Deutschen Bundestag schadet unserem Land”, erklärt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. VW-Chef Matthias Müller bezeichnete das AfD-Abschneiden als “schockierend” und warnte vor Gefahren für die hiesige Wirtschaft. “Für Deutschlands größtes Industrieunternehmen sage ich: In der globalisierten Wirtschaftswelt führen nationaler Egoismus und Protektionismus in die Sackgasse – und am Ende zum Verlust von Arbeitsplätzen.” Die AfD könne kein Partner für die Zukunft sein, assistiert Thilo Brodtmann, der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA. Nur Europa, freie Märkte und weltoffene Gesellschaften schafften Wohlstand und Beschäftigung. “Der Rückzug auf die eigene Scholle hat noch keinen vorangebracht.” Siemens-Chef Joe Kaeser wertete den AfD-Erfolg auch als “Niederlage der Eliten in Deutschland”.