Schwere Belastungsprobe für den Schmusekurs
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Vor knapp drei Wochen schienen Wladimir Putin und Xi Jinping noch die allerbesten Freunde zu sein, die bei der Bewältigung von Konflikten mit den USA und westlichen Alliierten durch dick und dünn gehen. Das Bild von der innigen Verbrüderung der Präsidenten Russlands und Chinas scheint förmlich auf den Kopf gestellt worden zu sein. Mit dem eigensinnigen Vorgehen Putins im Ukraine-Konflikt und der Anerkennung prorussischer Separatisten-Gebiete in der Ostukraine als klarem völkerrechtlichen Verstoß ringt der chinesische „Verbündete“ regelrecht um Fassung.
Denn für China ist es völlig undenkbar, jegliche Form von Separatismus in irgendeinem Land der Welt gutzuheißen oder gar aktiv zu unterstützen. Seit den ersten Anfängen der Volksrepublik sieht sich die Kommunistische Partei als oberster Hüter der territorialen Einheit, die es vor Separatisten zu schützen gilt. Dies gilt in Tibet, in Xinjiang, in Hongkong und erst recht in Taiwan, dem China mit Zwangsvereinigung im Falle des Auflebens von Separatismus-Aktionen und der Abkehr von der Ein-China-Politik droht.
Entsprechend hat Putin China nun in eine Lage manövriert, bei der es fast unmöglich erscheint, den russischen Konfrontationskurs mit dem Westen aktiv zu unterstützen. Und prompt steht China im UN-Sicherheitsrat erstmals seit langem nicht auf russischer Seite, zeigt sich besorgt um die Situation in der Ukraine, parliert ungewöhnlich freundlich mit US-Außenminister Antony Blinken und fordert alle Seiten auf, die Spannungen durch Dialog zu entschärfen.
Im Rückblick der Ereignisse dürfte die Eröffnungsfeier der Pekinger Winterolympiade in die Annalen der historisch gesehen äußerst schwierigen chinesisch-russischen Beziehungskiste eingehen. Putin war das mit Abstand wichtigste Staatsoberhaupt und wurde entsprechend behandelt – nachdem zahlreiche Ländervertreter das Event tunlichst mieden oder gar offiziell boykottierten. Es ging um wesentlich mehr als den präolympischen Austausch von Freundlichkeiten zweier Staatsoberhäupter, die sich zuvor bereits 38 Mal begegnet sind. Es galt zu dokumentieren, wie eng die Bande zwischen zwei autokratisch geführten Nationen geworden sind, die sich der US-Hegemonie zu widersetzen wissen und das westliche Demokratiemodell samt seinen Menschenrechtsidealen kategorisch ablehnen. Es galt aber auch, über verstärkte Finanzkooperation die „Energiepartnerschaft“ zwischen einem führenden Öl- und Gasförderland und dem mit Abstand größten Rohstoffimporteur zu festigen.
Ein gemeinsames Kommuniqué sollte der Welt demonstrieren, dass der Schulterschluss zwischen China und Russland und die gemeinsame Front gegenüber den westlichen Alliierten enger und stärker denn je ist. Putin sprach von „beispiellos guten Beziehungen“. Zahlreiche Kommentatoren haben den demonstrativen Auftritt als eine Art Pakt verstanden, mit dem China Russland im Ukraine-Konflikt den Rücken stärken und selbiges im Falle des Einmarschs Chinas in Taiwan erwarten würde.
Bei der Olympiafeier erschrak Chinas Fernsehpublikum, als sie Xi mit denkbar finsterer Miene, müde und geistig irgendwie abwesend sahen. Gleichzeitig vermochte niemand Putin zu erspähen, er wurde vom Staatsfernsehen völlig ausgeblendet. Im Netz brandeten gar Spekulationen auf, dass Putin bereits wieder abgefahren sein könnte. Letztlich hat Putin zwar den Olympischen Frieden gewahrt, aber nur einen Tag nach Ende der Spiele mit der Separatismus-Offensive losgelegt. Präsident Xi wird es schwer haben, diese minimale Anstandswahrung als echten Freundschaftsbeweis zu empfinden.