Großbritannien

Sieger sehen anders aus

Boris Johnson wird nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen können. Zu viele Tory-Abgeordnete stimmten bei einem parteiinternen Misstrauensvotum gegen ihn. Sein Abstieg hat begonnen.

Sieger sehen anders aus

Boris Johnson hat das Misstrauensvotum, mit dem er um den Parteivorsitz gebracht werden sollte, zwar überstanden. Doch Sieger sehen anders aus. Drei von vier Tory-Abgeordneten, die kein Pöstchen in seiner Regierung ergattern konnten, stimmten gegen ihn. Alles in allem schnitt er schlechter ab als seine Vorgänger Margaret Thatcher, John Major und Theresa May, denen ebenfalls Rebellen aus der eigenen Partei zu schaffen machten.

Der britische Premier nannte das Ergebnis gleichwohl überzeugend. Nun würde er gerne zur Tagesordnung übergehen – in der Hoffnung, dass ihm erst in zwölf Monaten eine weitere Kampfabstimmung droht. Die nächste Abstimmung naht aber schon zum Monatsende. Dann finden Nachwahlen für zwei Unterhausmandate statt, die bislang von den Tories gehalten wurden. Sie wurden nötig, nachdem die beiden Abgeordneten ihre Ämter in Schimpf und Schande niederlegen mussten – der eine, weil er wegen einer sexuellen Attacke auf einen Fünfzehnjährigen verurteilt wurde, der andere, weil er sich im Parlament auf seinem Smartphone Pornografie angesehen hatte. Es ist damit zu rechnen, dass die Konservativen beide Sitze verlieren werden. Denn die Außenwirkung solcher Fälle ist mindestens ebenso verheerend wie die von Johnsons Lockdown-Partys in der Downing Street.

Der chaotische Bonvivant muss deshalb nicht nur fürchten, dass das 1922-Komitee seiner Partei, das für die Wahl des Vorsitzenden zuständig ist, die Regeln für Vertrauensabstimmungen ändert. Es könnte auch ohne ein weiteres Votum der Tory-Abgeordneten schon bald vorbei für ihn sein: Theresa May konnte sich nach ihrem Sieg über parteiinterne Gegner nur noch sechs Monate im Amt halten.

Johnson hat den Vorteil, dass seine Feinde sich nicht einig sind. Kein Wunder: Ihnen geht es um die Person, nicht um die Politik. Unter ihnen finden sich verbitterte Brexit-Gegner ebenso wie einstige Vorkämpfer für den EU-Austritt, Lockdown-Kritiker und Abgeordnete, die Johnson die Schuld für einen Karriereknick geben. Sie werden sich kaum auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Vermutlich gibt es deshalb so viele, die sich warmlaufen. Und anders als John Major, der den Tories nach einem überstandenen Misstrauensvotum eine krachende Wahlniederlage bescherte, steht Johnson kein charismatischer Oppositionsführer wie Tony Blair gegenüber, sondern der bräsige Keir Starmer. Vielleicht ist es noch zu früh, um Johnson abzuschreiben. Doch sein Abstieg hat bereits begonnen.

         (Börsen-Zeitung,