Slow Travelling in Italien
Notiert in Mailand
Slow Travelling in Italien
Auf Nebenstrecken der Staatseisenbahn lässt sich ein Land abseits des Massentourismus erkunden
Von Gerhard Bläske
Italien wird auch in diesem Jahr von Touristen überrannt. Die meisten von ihnen suchen Hotspots wie Florenz, Rom und Venedig sowie Badestrände in Ligurien, Venetien oder in der Emilia-Romagna auf. In manchen Orten gibt es Zugangsbeschränkungen. Und in den Cinque Terre in Ligurien oder in der Lagunenstadt Venedig muss zu bestimmten Zeiten Eintritt gezahlt werden.
Reisen im Stil der 80er
Es gibt es auch viele einsame Regionen wie die Abruzzen, den Apennin, große Teile Kampaniens und Molise sowie fast generell das Binnenland. Für Urlauber, die Entspannung, Ruhe und Slow Travelling lieben, hat die Staatseisenbahn Ferrovie dello Stato nun spezielle Angebote entwickelt. Es geht nicht darum, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Im Mittelpunkt steht das entschleunigte Reisen. Unter dem Dach der „FS treni turistici italiani“ gibt es diverse Angebotslinien: Neue Verbindungen in zeitgemäß hergerichteten Zügen aus den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bringen Fahrgäste aus Mailand oder Rom, denen es nicht um das schnelle Ankommen geht, in Touristenziele am Meer oder in den Alpen wie Ventimiglia, Livorno oder Cortina d’Ampezzo. Die Züge verkehren teilweise nachts, teils mit Schlaf- und Speisewagen, Fahrradabteilen und diversen Annehmlichkeiten.
Attraktive Nebenstrecken locken
Speziell ausländische Touristen sollen sich für die Reisen auf Nebenstrecken durch Teile der Lombardei, Piemonts, Friauls, Latiums, der Abruzzen, der Marken, Kampaniens oder Siziliens interessieren. Die Fondazione Fs, eine Stiftung, hat seit 2013 ein Netzwerk von 13 historischen Verbindungen, insgesamt tausend Kilometer, aus eigenen Mitteln oder mithilfe des Europäischen Wiederaufbauprogramms Next Generation instand gesetzt. Die Züge schlängeln sich an Seen entlang, durch Weinberge, Täler, einsame Gebirgshochflächen oder Ebenen – auf „binari senza tempo“, zeitlosen Verbindungen. Rund 200 Waggons und Lokomotiven aus den 30er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden aufwendig restauriert. Und außer in Neapel, wo 1839 die erste Verbindung des damaligen Königreichs beider Sizilien eröffnet wurde, und Triest, wo einst die österreichisch-ungarische Südbahn aus Wien endete, ist auch im sizilianischen Messina ein Museum geplant.
Gastronomische Verkostungen inklusive
Die Reisenden sollen die Landschaften langsam an sich vorbeiziehen lassen. Vorbild ist die Schweiz, die solche Angebote schon lange im Programm hat. Ausgedehnte Stopps an Haltepunkten erlauben Wanderungen, Besichtigungen und gastronomische Verkostungen. Es geht auch um die Wiederentdeckung und Belebung verlassener Regionen. FS-Fondazione-Chef Luigi Cantamesso zitiert eine Studie der Mailänder Universität Bocconi, nach der jeder Reisende für einen Euro, den er in die Reise investiert, noch einmal bis zu 3,18 Euro für andere Dienstleistungen ausgibt. Ob die Rechnung aufgeht, muss sich jedoch erst zeigen. Es wäre hilfreich, wenn die Mitarbeiter der Staatseisenbahn über ausreichende Englisch-Kenntnisse verfügen würden, um mit ausländischen Touristen zu kommunizieren.