Inflation

Sorge vor Lohn-Preis-Spirale wächst

Die Angst vor einer Verfestigung der hohen Inflation in Deutschland erhält neue Nahrung: Die IG Metall fordert 8% mehr Lohn. Laut Bundesbank nehmen die Inflationserwartungen zu – und die Teuerung ist die größte Sorge der Deutschen.

Sorge vor Lohn-Preis-Spirale wächst

ms/ast Frankfurt

Die Angst vor einer Verfestigung der viel zu hohen Inflation in Deutschland hat neue Nahrung erhalten. Der IG-Metall-Vorstand schürte am Montag mit seiner Forderung nach 8,0% mehr Lohn die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale, bei der sich Preise und Löhne gegenseitig hochschaukeln. Das gilt umso mehr, als zugleich die Inflationserwartungen der Deutschen immer neue Höchststände erklimmen, wie eine aktuelle Bundesbankumfrage zeigt – was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie künftig mehr Kompensation verlangen. In jedem Fall ist die Inflation laut einer am Montag veröffentlichten Studie der Allianz derzeit die größte Sorge der Deutschen.

Die hohe Inflation erhitzt seit Monaten wie kaum ein zweites Thema die Gemüter in Deutschland. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die Teuerung viel stärker als erwartet angezogen. Im Juni lag sie nach EU-harmonisierter Betrachtung bei 8,2%. Das ist zwar etwas niedriger als im Mai, aber das geht vor allem auf staatliche Eingriffe wie den Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket zurück. Eine baldige Besserung ist zudem nicht absehbar, da der Druck auf den vorgelagerten Preisstufen sehr hoch ist – nicht zuletzt wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs für Energiepreise und Lieferketten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine konzertierte Aktion mit den Tarifpartnern initiiert, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Diese Sorge wurde am Montag von der IG Metall noch einmal geschürt. Die größte deutsche Einzelgewerkschaft zieht mit einer Lohnforderung in Höhe von 8% für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in die Tarifverhandlungen, die Mitte September beginnen. Die regionalen Entgelttarifverträge für die Branche laufen bundesweit zum 30. September aus. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober, danach wären Streiks möglich.

„Realitätsverlust“

„Die Beschäftigten brauchen Entlastungen, auch mit Blick auf ihre 2023 nochmals steigenden Rechnungen“, bezog sich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann direkt auf die hohen Verbraucherpreise. Die Konjunktur müsse durch steigende Einkommen und einen so stabilisierten Privatkonsum gestützt werden. Die Gewerkschaft sieht die Unternehmen trotz steigender Produktionskosten und gestörter Lieferketten in einer guten Lage. „Der überragenden Mehrheit der Unternehmen geht es aktuell gut: sowohl hinsichtlich der Auftrags- als auch der Ertragslage. Betriebe können steigende Kosten weiterreichen, Beschäftigte nicht“, sagte Hofmann.

Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, warf der IG Metall „Realitätsverlust“ vor und blind für die Wirklichkeit der Branche zu sein. „Die Lage ist so unterschiedlich wie nie zuvor“, monierte er. Es sei verantwortungslos, sich bei 26000 Unternehmen an den 100 zu orientieren, denen es noch gut gehe. In diese Kerbe schlug auch Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauerverbands VDMA. Die Forderung der Industriegewerkschaft blende die Realität aus. Die Unternehmen hätten „mit exorbitant gestiegenen Beschaffungs- und Produktionskosten zu kämpfen, die sie nicht an ihre Kunden weiterreichen können“.

Unterdessen berichtete die Bundesbank, dass die Inflationserwartungen der Deutschen weiter kräftig anziehen. Die Erwartungen der Privatpersonen in Deutschland für die Inflation in den nächsten zwölf Monaten erreichten im Juni 2022 im Mittel 7,5% – ein neuer Höchststand seit Befragungsbeginn. Im Mai betrug der Wert 7,0%. Vor einem Jahr hatte der entsprechende Wert noch deutlich niedriger bei etwas mehr als 3% gelegen. Die im Durchschnitt der nächsten fünf Jahre erwartete Inflation stieg im Juni von zuvor 5,3% auf 5,4%. Mit weiter steigenden Inflationsraten rechnen dabei 84% der Befragten. Nur 5% erwarten eine rückläufige Teuerung.

Die Umfrage der Bundesbank steht oft im besonderen Fokus, weil es nicht viele Umfragen dieser Art zu den Inflationserwartungen der Privathaushalte gibt. Bundesbankpräsident Joachim Nagel zitiert sie auch regelmäßig zur Begründung dafür, dass er entschlossene Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) fordert, um eine Entankerung der Inflationserwartungen vom 2- Prozent-Inflationsziel der EZB und in der Folge eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Teuerung größte Sorge

Wie groß die Sorge der Deutschen wegen der Inflation ist, zeigte am Montag die jährliche Umfrage des Versicherers Allianz zu Einstellungen zu Politik, Wirtschaft und persönlichen Zielen („Allianz Pulse“). Mehr als die Hälfte (57%) von gut 1000 Befragten in Deutschland nannten in der Erhebung in einer vorgegebenen Auswahl die Teuerung als das Thema, das sie aktuell am meisten be­schäftige. Zum Vergleich: In Frankreich landete das Thema auf Platz 2, in Italien auf Platz 4. Ein breiter Konsens besteht unter den insgesamt 3137 Befragen aus den drei größten Volkswirtschaften des Euroraums aber darüber, dass die jeweilige Regierung Maßnahmen ergreifen sollte, um die Folgen der deutlich gestiegenen Inflation abzupuffern.