Ukraine-Konflikt

Sorgen vor Sanktionen wachsen

Vor dem Hintergrund schwieriger Abstimmungen über Sanktionen gegen Russland nehmen in den USA und Deutschland Befürchtungen über Kollateralschäden zu. In Berlin rückt die Gasversorgung in den Mittelpunkt.

Sorgen vor Sanktionen wachsen

rec Frankfurt

In den USA und Deutschland nehmen Sorgen vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen von Sanktionen im Ukraine-Konflikt zu. Der amerikanische Außenhandelsverband appellierte an die US-Regierung, bei Strafmaßnahmen gegen Russland nicht zu überziehen. US-Präsident Joe Biden hatte harte Sanktionen in Aussicht gestellt, sollte das russische Militär in die Ukraine einmarschieren. Die Bundesregierung drängt in den Gesprächen mit Verbündeten über Sanktionen auf Ausnahmen für den Energiesektor, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet.

Die Vorgänge verdeutlichen das Dilemma, in dem vor allem die Bundesregierung steckt: Einerseits will sie mit den Nato-Partnern eine möglichst einheitliche Linie vereinbaren, wie das westliche Militärbündnis Russland bei einer Eskalation straft. Andererseits muss sie dabei die Interessen deutscher Unternehmen wahren und die Energiesicherheit im eigenen Land bedenken. So gilt ein Aus der umstrittenen, noch nicht in Betrieb genommenen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 als zwingend. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich dahingehend bislang nicht eindeutig positioniert – nicht zuletzt aus Sorge um die Versorgungssicherheit, falls Russland im Gegenzug Gaslieferungen einstellt. Der Kreml hat solche Befürchtungen zurückgewiesen.

Die Erdgasvorräte in Deutschland liegen seit Monaten unter dem langjährigen Durchschnitt. Die Lager sind aktuell zu 40% voll. Experten warnen, dass so niedrige Füllstände bei einer mehrwöchigen Kältewelle zu Engpässen führen werden. In anderen europäischen Ländern ist die Situation ähnlich. Die US-Regierung sucht deshalb nach eigenen Angaben mit Verbündeten weltweit nach alternativen Gaslieferanten, „um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Preisschocks sowohl für die amerikanische Bevölkerung als auch die Weltwirtschaft abzufedern“, sagte ein hochrangiger US-Regierungsmitarbeiter. Der Gaspreis in Europa hat sich auf vergleichsweise hohem Niveau eingependelt (siehe Grafik). Die USA selbst haben ihre Flüssiggasexporte nach Europa sukzessive hochgefahren. Ausgleichen könnten sie ausbleibende Lieferungen aus Russland aber nicht.

Die Bundesregierung setzt deshalb offenbar auf weitergehende Schritte. Im Falle von Sanktionen könnten russische Banken am Clearing, also an der Abwicklung von Dollar-Transaktionen im Außenhandel gehindert werden. Einem Bloomberg-Bericht zufolge drängt die Bundesregierung darauf, den Energiesektor von solchen Sanktionen auszuklammern. Außerdem werde in Berlin geprüft, entweder Mindestspeicherfüllstände festzulegen oder eine strategische Gasreserve aufzubauen, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Das Wirtschaftsministerium hält sich dazu bedeckt.

In die Debatte über Gaslieferungen aus Russland haben sich auch die Regierungsspitzen von Nato-Partner Großbritannien öffentlich eingeschaltet. Premier Boris Johnson sagte am Dienstag im Parlament, Deutschland müsse seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern und „um des Friedens willen dieses Opfer bringen“. Zuvor hatte Außenministerin Liz Truss im Falle einer Eskalation im Ukraine-Konflikt das Aus von Nord Stream 2 gefordert. Im amerikanischen Kongress gibt es seit Längerem Bestrebungen für Sanktionen gegen die Pipeline. US-Präsident Biden hat das bislang verhindert.

Innenpolitisch steigt der Druck auf Biden. Amerikanischen Unternehmen müsse die Erfüllung bestehender Verpflichtungen gestattet und Produkte von den Maßnahmen ausgeschlossen werden, fordert der Verband National Foreign Trade Council, der die Interessen von Konzernen in Russland vertritt. Zugleich drängen die großen Energieunternehmen den Kongress, den Umfang und den Zeitrahmen von Sanktionen zu begrenzen. Energieunternehmen haben sich an Abgeordnete gewandt, um Übergangsfristen zu erwirken.

Mit drastischen Worten warnte Biden vor einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Dies könnte die „größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg“ werden und „die Welt verändern“. Beobachtern zufolge hat Moskau circa 100000 Soldaten an der Grenze stationiert. Das US-Militär hat 8500 Soldaten in erhöhte Bereitschaft versetzt. Vertreter Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs berieten am Mittwoch erstmals seit zwei Jahren gemeinsam über die Lage. Parallel dazu führt Russland direkte Gespräche mit den USA und der Nato.

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