Standort Deutschland muss bei KI nachsitzen
Standort Deutschland muss bei KI nachsitzen
Disruptive Technologie mischt Karten für die Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Politik neu – Bundesrepublik im Stanford-Index nur auf Rang 8
Noch nie hatte eine Technologie so schnell die ganze Wirtschaft durchdrungen wie die Künstliche Intelligenz. Richtig eingesetzt, werden enorme Wachstumskräfte frei. Die Standortbedingungen müssen neu definiert werden. Allerding ist der Strukturwandel eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft. Deutschland scheint hier zu langsam unterwegs zu sein.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Happy Birthday, ChatGPT! Ende November vor zwei Jahren, genau am 30. November 2022, ging die erste öffentliche Version des Chatbots online. Generative Künstliche Intelligenz, GenAI, verändert seither unser Leben und Arbeiten schneller und massiver, als jede Tech-Innovation zuvor, weil sie in alle Fasern von Wirtschaft und Gesellschaft hineindiffundiert, ob sie nun Rechner, Haushaltsgeräte, Werkzeugmaschinen, Fahrzeuge oder die Unternehmensprozesse insgesamt umgestaltet. Nur auf wenige Technologien trifft wohl der Begriff „disruptiv“ so zu wie auf GenAI.
Das Tool selbst war seinerzeit nicht völlig neu, sondern basierte auf einem großen Sprachmodell (Large Language Model, LLM), das schon in den Jahren zuvor entwickelt worden war. Zum damaligen Zeitpunkt galt GenAI aber noch als Experimentier- und Forschungsfeld, war weniger für die breite Masse von Interesse. Das änderte sich mit ChatGPT dann schlagartig, weil sich Nutzer quasi „unterhalten“ und Fragen stellen konnten. Die Antworten waren noch sehr fehlerträchtig. Das änderte sich aber von Monat zu Monat.
Immer neue Modelle
Innerhalb von fünf Tagen verzeichnete die Plattform über eine Million Nutzer. Twitter brauchte zwei Jahre, um diese Marke zu erreichen. Schon im Dezember waren es dann 100 Millionen Nutzer. ChatGPT wurde zur am schnellsten wachsenden Internetanwendungsplattform für Verbraucher überhaupt.
Große Unternehmen wie Microsoft nutzten die Gelegenheit, KI in ihre Anwendungen zu integrieren, andere wie Adobe, Google und Apple machten es nach. Und neben OpenAIs ChatGPT gibt es inzwischen zahlreiche Sprachmodelle, auf die Privatnutzer, Unternehmen und Wissenschaft zugreifen können: Googles Gemini, Llama von Meta, Claude von Anthropic, Apple Intelligence oder Mistral aus Frankreich.
KI überschreitet alle Grenzen
Inzwischen ist die disruptive Kraft von KI in der Wirtschaft mit Händen zu greifen: KI hilft bei der Automatisierung, beim Kundenkontakt, fasst zusammen, optimiert Prozesse, analysiert Texte, Verfahren und Bilder, tritt als Autor auf und überwindet Mediengrenzen. KI erstellt Fotos, Audios und Videos; man findet es in Maschinen, Computern und Robotern.
KI ist damit darauf und dran, die etablierten ökonomischen Strukturen über den Haufen zu werfen, Kunden- und Wettbewerbsbeziehungen neu zu definieren, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, sogar ganzer Branchen zu erschüttern. Zugleich eröffnet es neuen Unternehmen Möglichkeiten, zu unbekannter Große aufzusteigen. Die Wettbewerbs- und Standortkarten werden neu gemischt: neues Spiel, neues Glück!
Jede fünfte Firma nutzt KI
Heimische Unternehmen haben das erkannt, KI-Technologien halten zunehmend Einzug. In einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes gab jedes fünfte Unternehmen an, Künstliche Intelligenz zu nutzen. Bei der Befragung im vergangenen Jahr waren es noch 12%. Über erste Gehversuche sind die Unternehmen längst hinaus. Es geht nun darum, sein Geschäftsfeld abzustecken, mit KI produktiver zu werden, was sich letzten Endes auch auf die angebotenen Arbeitsplätze auswirken wird. Manche Berufsgruppen dürften um die Existenz kämpfen.
Verwendet werden KI-Technologien den Angaben zufolge am häufigsten zur Analyse von Schriftsprache (48%) und zur Spracherkennung (47%). Haupteinsatzfelder dieser Anwendungen sind Marketing und Vertrieb (33%). Außerdem nutzen die Unternehmen KI für Produktions- und Dienstleistungsprozesse (25%), zur Organisation ihrer Verwaltung (24%) sowie für die Buchführung (24%).
Diejenigen, die sich bislang gegen KI entscheiden, begründen dies vor allem mit fehlendem Wissen (71%), Unklarheit über die rechtlichen Folgen (58%) und Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz (53%). Gut jeder fünfte der Nicht-KI-Nutzer (21%) hält den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im eigenen Unternehmen nicht für sinnvoll.
Probleme am heimischen Standort
Wegen der disruptiven Kraft kommt es daher um so mehr darauf an, dass der Wirtschaftsstandort nach der verschlafenen Digitalisierung nicht auch noch den Sprung auf die KI-Technologie verpasst. Es waren immerhin deutsche IT-Experten, welche die Grundlage für GenAI legten und Machine Learning auf die Sprünge geholfen haben. Auch die volkswirtschaftliche Basis signalisiert eigentlich gute Startchancen: technische Ausbildung, Excellence-Cluster an den Universitäten, solide Infrastruktur. Doch das reicht wohl nicht. Klagen über unsinnige Bürokratie, hinderlichen (föderalen) Datenschutz, zu wenig Rechenzeit und zu schmalbandige Verbindungen erklingen überall, zudem lässt die universitäre Gehaltsordnung keine großen Abweichungen für Spitzenforscher zu. Viele wandern ab.
Blickt man auf Standortvergleiche im Zusammenhang mit KI, so zeigt ein Tool der Stanford University am Institute for Human Centered AI (HAI), dass Deutschland weniger gut abschneidet wie oftmals behauptet. In einer Untersuchung unter 36 Ländern liegt die Bundesrepublik nur auf Rang 8 – werden manche Eingangsparameter anders gewichtet, sogar noch weiter hinten. USA und China sind unangefochten an der Spitze, danach folgen Großbritannien, Indien, die Arabischen Emirate, Frankreich und Südkorea.
Geprüft wurden der jeweilige Stand etwa bei Forschung & Entwicklung (F&E), der aktuelle Einsatzgrad in den Firmen, der Regulierungsgrad und die Ausbildung der Menschen für diese Technik. Bei F&E sowie Bildung schneidet Deutschland überdurchschnittlich ab, aber bei der Infrastruktur, dem Offenheitsgrad in der Bevölkerung und politischen Rahmenbedingungen gibt es offenbar Nachholbedarf.