FRANKREICH

Stillstand statt Reform

Der Geist vom 11. Januar scheint vergessen, von der bewundernswerten Einheit, die Frankreichs Politiker nach den Attentaten von Paris an den Tag legten, ist nichts mehr übrig. Zerstört wurde sie am 17. Februar in der Nationalversammlung von den...

Stillstand statt Reform

Der Geist vom 11. Januar scheint vergessen, von der bewundernswerten Einheit, die Frankreichs Politiker nach den Attentaten von Paris an den Tag legten, ist nichts mehr übrig. Zerstört wurde sie am 17. Februar in der Nationalversammlung von den aufständlerischen Vertretern des linken Parteiflügels der sozialistischen Regierungspartei, aber auch von den Abgeordneten der konservativen Oppositionspartei UMP. Die sozialistischen “Frondeurs” wollten ihre Macht demonstrieren und gegen das sogenannte Macron-Gesetz zur Ankurbelung der Wirtschaft stimmen, weil es ihnen zu liberal ist. Die konservative Opposition wiederum war rein aus Prinzip dagegen.Aus Furcht, keine parlamentarische Mehrheit für den Gesetzentwurf zu bekommen, zog Premierminister Manuel Valls die Notbremse. Er griff auf Artikel 49-3 der Verfassung zurück, um das Gesetz ohne Abstimmung in Kraft zu setzen. Die UMP reichte deshalb – unterstützt von dem Mitte-rechts-Bündnis UDI und den Kommunisten – einen Misstrauensantrag ein, wie es die Verfassung ermöglicht. Zwar zweifelt kein politischer Beobachter in Frankreich daran, dass Valls und sein Kabinett die für Donnerstagabend geplante Abstimmung überstehen. Dennoch steht seine Regierung geschwächter da denn je.Schlimmer noch: Frankreich dürfte nun der endgültige Reformstillstand drohen. Denn seit einer Verfassungsreform 2008 darf der etwa von Ex-Premier Michel Rocard oft genutzte Artikel 49-3 abgesehen von Haushaltsabstimmungen nur noch einmal pro Parlamentsjahr genutzt werden. Damit scheinen weitere Reformvorhaben bereits jetzt zum Scheitern verurteilt. Denn die Aufständler vom linken Rand der Sozialisten wissen, dass Valls und sein Team ihre Munition verschossen haben. Dadurch gestärkt werden sie künftig noch vehementer gegen jegliche Reformversuche vorgehen.Die Ereignisse zeigen auch, wie unmöglich es in Frankreich ist, Veränderungen durchzusetzen – vor allem wegen der politischen Klasse, die sich lieber ideologischen Machtkämpfen hingibt, als an die Zukunft des Landes zu denken. Dabei handelt es sich bei dem Macron-Gesetz nicht einmal um eine tiefgreifende Reform, sondern lediglich um kleine Schritte. So sieht es etwa eine Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten an Sonntagen und die Liberalisierung des Busverkehrs vor. Bei der Bevölkerung kommt das an, wie Umfragen zeigen. Die sozialistischen Aufständler und die konservative Opposition, die nicht dafür stimmen wollten, könnten deshalb nicht wirklichkeitsfremder sein.