DIE ALTERNDE GESELLSCHAFT

Streit über Länge der Lebensarbeitszeit

Ökonomen vertreten unterschiedliche Standpunkte - Digitalisierung kann älteren Beschäftigten helfen

Streit über Länge der Lebensarbeitszeit

arp Frankfurt – Bei Jochen Pimpertz, dem Leiter des Kompetenzfeldes öffentliche Finanzen, soziale Sicherung und Verteilung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), rennt die Bundesbank mit ihrer Forderung nach Erhöhung des Renteneintrittsalters offene Türen ein. “Mir fehlt die Fantasie, wie sich die Sozialsysteme ohne eine längere Lebensarbeitszeit sichern lassen”, sagte Pimpertz im Gespräch mit der Börsen-Zeitung – auch wenn der IW-Ökonom zugesteht, dass eine längere Lebensarbeitszeit nicht die alleinige Lösung sein kann. Ebenso gesteht Pimpertz ein, dass es Branchen gibt, in denen Arbeitgeber schon vor Erreichen des Renteneintrittsalters aus dem Berufsleben ausscheiden. Beispielhaft nennt er die Banken- und Versicherungen, wo die zunehmende Digitalisierung absehbar Arbeitsplätze kosten wird. Hinzu kämen körperliche Belastungen etwa von Bauarbeitern oder psychische Belastungen von Beschäftigten in der Altenpflege.Zwar sieht Pimpertz Staat und Sozialpartner in der Verantwortung, dass Menschen auch im höheren Alter noch Berufschancen haben. Gleichzeitig will er aber auch dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben einen Riegel vorschieben. Er verweist auf die Politik in den Niederlanden: “Dort gilt bereits im nächsten Jahr eine Altersgrenze von 67 Jahren, die mit steigender Lebenserwartung weiter steigen wird. Gleichzeitig ist aber ein vorzeitiger Bezug der gesetzlichen Grundrente ausgeschlossen.”Migration und auch seit 2012 wieder steigende Geburtenraten reichen laut Pimpertz bei weitem nicht aus, die Folgen der demografischen Entwicklung auf das Rentensystem auszugleichen. “Dazu bräuchte es schon Zuwanderung in siebenstelliger Größenordnung pro Jahr”, so der IW-Ökonom.Dass eine längere Lebensarbeitszeit für jüngere Arbeitnehmer wirklich unvermeidbar ist, um die Sozialsysteme zu sichern, will Florian Blank so nicht stehen lassen. Für den Leiter des Referats Sozialpolitik des zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehörenden Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) wird die Debatte auch “zum falschen Zeitpunkt geführt, da die Rente mit 67 noch auf dem Weg ist”. Verkürztes Bild”Berechnungen zur demografischen Entwicklung und der Belastbarkeit der Sozialsysteme zeichnen auch ein verkürztes Bild der Rentendynamik, denn sie blenden Politiklösungen aus”, kritisierte Blank im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Eine wichtige Stellschraube für den Wissenschaftler ist der Arbeitsmarkt. Blank fordert, dass vor allem Arbeitnehmergruppen mit vergleichsweise geringer Erwerbsbeteiligung – er nennt Frauen, ältere Beschäftigte und Migranten – in vollwertige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gebracht werden. Auch fordert er mehr Investitionen vom Staat, um Beschäftigung nicht nur dauerhaft zu sichern, sondern auch auszubauen.Blank schlägt auch vor, die Rentenversicherung in eine Erwerbstätigenversicherung umzuwandeln, in die auch Beamte und Selbständige einzahlen, was die Finanzen der Rentenkasse stabilisieren würde. “Und letztlich ist auch nicht in Stein gemeißelt wie viel Beiträge und Steuergelder zur Finanzierung der Rente aufgewendet werden”, so Blank. Derweil bringt der Arbeits- und Industriesoziologe Martin Krzywdzinski die Digitalisierung als eine Möglichkeit ins Spiel, ältere Beschäftigte länger im Berufsleben zu halten. “Viele Entwicklungen in der Robotik sind im Moment weniger darauf ausgerichtet, im großen Stil Prozesse zu automatisieren. Es geht eher darum, bei körperlich belastender Arbeit und/oder monotoner Tätigkeit die Arbeitskräfte zu unterstützen und zu entlasten. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung von Exoskeletten, die beispielsweise in der Automobilindustrie zum Einsatz kommen”, sagte Krzywdzinski der Börsen-Zeitung. Exoskelette werden von Mitarbeitern am Körper getragen und unterstützen die Bewegungen von Beschäftigten.Gleichwohl warnt der Soziologe vom Wissenschaftszentrum Berlin aber auch vor schädlichen Effekten der Digitalisierung für ältere Beschäftigte und nennt beispielhaft die öffentliche Verwaltung. Dort ist die Digitalisierung noch nicht weit fortgeschritten, auf der anderen Seite rund ein Drittel der Beschäftigten 55 Jahre oder älter. “Darum kommt es unbedingt darauf an, bei Fortbildungsmaßnahmen nicht nur jüngere, sondern auch ältere Mitarbeiter im Fokus zu haben”, sagte Krzywdzinski. Private Vorsorge in PflegeBleibt noch die Finanzierung der Pflegeversicherung. Hier bringt IW-Ökonom Pimpertz ein Zwei-Säulen-Modell ins Spiel. Die Versicherten sollen zusätzlich privat für die Pflege vorsorgen. Der Vorteil laut Pimpertz: In einer ergänzenden, kapitalgedeckten Säule wird verhindert, dass die demografisch bedingt steigenden Kosten auf nachfolgende Generationen überwälzt werden. Seine Begründung: Die geburtenstarken Jahrgänge seien schließlich auch für die geburtenschwachen Jahrgänge verantwortlich.