Stresstest für die Energie- und Klimapolitik
Von Stefan Paravicini, Berlin
Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Anfang Januar seine klimapolitische Eröffnungsbilanz vorlegte, sollte das eigentlich den Startschuss für eine kräftige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien markieren. Zwei Monate später denkt der Klimaminister und Vizekanzler laut darüber nach, die verbliebenen Atommeiler in Deutschland über 2022 hinaus am Netz zu lassen, um die Abhängigkeit von russischen Energie-Importen zu begrenzen. Von einem vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung ist ohnehin keine Rede mehr, weil sich der Energieträger Erdgas, der bisher als vergleichsweise klimaverträglicher Pfeiler für die Brücke aus dem fossilen Zeitalter galt, mit dem russischen Angriff auf die Ukraine als geostrategischer Risikofaktor entpuppt hat. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) macht sich derweil für einen milliardenschweren Tank-Rabatt für Diesel und Benzin stark, um Pendlern und Betrieben einen Teil der Last gestiegener Energiepreise von den Schultern zu nehmen.
Keine Frage, die Ziele der neuen Bundesregierung in der Energie- und Klimapolitik werden durch den Krieg in der Ukraine einem echten Stresstest unterzogen. Denn kurzfristig haben Versorgungssicherheit und die Abmilderung sozialer Härten Vorrang vor den Klimazielen. Mittel- und langfristig dürfte der Konflikt das Tempo beim Umbau des Wirtschaftssystems Richtung Klimaneutralität aber noch beschleunigen.
„Wir sind jetzt doppelt gefordert, den Weg zur Unabhängigkeit von Kohle, Gas und Öl zu gehen“, sagte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen am Dienstag bei der Vorstellung der jüngsten Emissionsdaten mit Blick auf Klimawandel und Geopolitik. „Wir müssen Sicherheitspolitik, Energiesouveränität und die Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Importen zusammen denken“, sekundierte Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamts, das für 2021 einen Anstieg der Treibhausgasemissionen um 4,5% registriert hat.
„Was ändert der Krieg, den Putin angezettelt hat?“, stellte sich Graichen die wichtigste Frage zu den Ambitionen der Bundesregierung in der Klimapolitik sicherheitshalber selbst. „Die Antwort ist schlicht: Er beschleunigt die Notwendigkeit für Klimaschutz bei Gebäuden und Verkehr noch einmal“, sagte er mit Blick auf die beiden Sektoren, die zuletzt hinter den Klimazielen zurückgeblieben sind. Aber auch der Ausbau der erneuerbaren Energien soll noch einmal schneller vorangehen als in den bisherigen Entwürfen für das bis Ostern angekündigte Gesetzespaket vorgesehen. „Sie können versichert sein, dass wir im Ministerium gerade mit Hochdruck daran arbeiten, die Dinge, die wir sowieso vorhatten, beim Thema Wind- und Solarausbau noch einmal zu beschleunigen“, sagte Graichen.
„Wir nehmen wahr, dass die Bundesregierung intensiv an den richtigen Weichen arbeitet“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), auf Anfrage der Börsen-Zeitung. Entscheidend werde das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens sein. Die vorliegenden Entwürfe stammten noch aus den Tagen vor dem Überfall auf die Ukraine und der damit verbundenen „außenpolitischen Zeitenwende“. Um das Tempo bei Ausbau der erneuerbaren Energien weiter zu steigern, müssten die von der Ampel erst für den Sommer geplanten Vorschläge zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zusammen mit dem Osterpaket verabschiedet werden, fordert die BDEW-Chefin.
Bürokratische Hürden
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), sieht es ähnlich. „Wichtig ist, dass bürokratische Hürden beseitigt sowie Flächen und Genehmigungen bereitgestellt werden, um die wetterabhängigen günstigen Quellen Wind und Sonne zu entfesseln und Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie als flexibel steuerbare Quellen zu nutzen“, sagt die BEE-Chefin zu den Ampel-Plänen.