LEITARTIKEL

Stunde der Wahrheit für Rom

Es ist eine trügerische Ruhe, die in diesen heißen Sommertagen in Italien herrscht. Allenfalls der Tod von Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne oder die Flüchtlingspolitik bewegen die Menschen. Doch hinter den Kulissen herrscht große Nervosität....

Stunde der Wahrheit für Rom

Es ist eine trügerische Ruhe, die in diesen heißen Sommertagen in Italien herrscht. Allenfalls der Tod von Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne oder die Flüchtlingspolitik bewegen die Menschen. Doch hinter den Kulissen herrscht große Nervosität. Staatspräsident Sergio Mattarella ist in höchstem Maße besorgt über die Verschärfung des Tons zwischen Regierung und EU-Kommission. Brüssel fordert das Land auf, zusätzliche Kürzungen im Haushalt vorzunehmen, um das Budgetdefizit zu senken. Und der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnt, prozyklische Maßnahmen zu unterlassen.Doch führende Vertreter der Regierung ignorieren die Ratschläge und schüren das Feuer. Europaminister Paolo Savona fordert ein Investitionsprogramm von 50 Mrd. Euro. Der einflussreiche Wirtschaftsberater Claudio Borghi, Mitglied der rechtsnationalen Lega, will die Konjunktur wieder anheizen. Und Luigi Di Maio, Minister für die wirtschaftliche Entwicklung und Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), wirft den Unternehmern “psychologischen Terrorismus” vor. Er muss Profil entwickeln, weil sein Widersacher Matteo Salvini, Innenminister und Lega-Chef, mit seiner Antiimmigrationspolitik in Meinungsumfragen immer weiter enteilt. Salvini verkündet vollmundig, man werde EU-Vorgaben ignorieren, weil man nicht gewählt worden sei, um die Politik der Vorgängerregierungen fortzusetzen, sondern um die versprochenen Steuersenkungen durchzusetzen. Auch in Sachen Russland prescht Salvini regelmäßig voran und droht mit einem Veto gegen die Fortsetzung der Sanktionen. Di Maio will dagegen das Freihandelsabkommen Ceta blockieren – nur weil ein paar Kleinbauern nicht zufrieden damit sind.Die Regierung führt ein großes Kasperletheater auf. Meinungsumfragen stacheln sie weiter an. Zusammen kommen Lega und M5S auf 60 %. So klare Mehrheiten hat es in Italien zuletzt unter dem Diktator Benito Mussolini gegeben. Erste Maßnahmen der Regierung geben leider keinen Anlass zur Hoffnung, es werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Mit einem neuen Gesetz werden zeitlich befristete Arbeitsverträge erheblich erschwert. Dabei war es gerade der Jobs Act von Ex-Premier Matteo Renzi, der durch diese Liberalisierung des Arbeitsmarkts viele neue Jobs in Industrie, Forschung, Tourismus, Gastronomie und Landwirtschaft ermöglichte. 1,2 Millionen Jobs entstanden seit 2014. Viele davon waren zunächst befristet, und etliche mündeten in unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Auch bei der Besetzung von Spitzenposten beim Fernsehsender Rai, bei der Staatseisenbahn und der Staatsbank Cassa Depositi (CDP) wurde heftig geschachert. Di Maio, der die CDP zu einem Reparaturbetrieb für marode Staatskonzerne machen will, der bei Alitalia und dem Stahlwerk Ilva einsteigen soll, setzte sich bei der Besetzung des Spitzenpostens in dem Institut gegen den gemäßigten Wirtschaftsminister Giovanni Tria durch.Die verbale Radikalisierung und Konfrontation, verbunden mit den ersten Maßnahmen der neuen Regierung, ist sehr riskant. Denn Italien ist hoch verschuldet und hat keinen Handlungsspielraum. Wer öffentlich zündelt, macht sich auch nicht gerade Freunde. Doch es ist nicht so sehr Brüssel, das Rom fürchten muss. Es sind die Märkte. Im Mai hatten Diskussionen um einen möglichen Euro-Austritt und die Ernennung des europafeindlichen Paolo Savona zum Finanzminister den Spread zwischen deutschen und italienischen Zehnjahresanleihen auf über 320 Basispunkte nach oben und den Aktienmarkt nach unten getrieben. Seither schielt die Wirtschaft des Landes jeden Tag ängstlich auf diese Kennzahl. Vor allem die Banken, deren Situation wegen ihres hohen Bestands an Staatsanleihen und faulen Krediten nach wie vor fragil ist, verloren an der Börse stark an Wert. Die Finanzierungskosten für Staat und Unternehmen haben sich seither anhaltend verteuert. Es fehlt nicht viel, und es geht wieder los. Di Maio und Salvini fordern Tria auf, “mutiger” zu sein. Dieser will zwar mit Brüssel über mehr “Flexibilität” verhandeln. Doch für die Realisierung von Flat Tax, bedingungslosem Grundeinkommen und das Rückgängigmachen der Rentenreform sieht er keinen Spielraum. Tria weiß um die Ängste der Märkte. Ein Rücktritt des angeschlagenen Ministers würde diese in Alarmstimmung versetzen.Die Folgen wären unabsehbar. Die Stunde der Wahrheit wird die Vorlage des Haushaltsentwurfs im September sein. Wenn da keine klaren Signale zur Einhaltung der Stabilitätskriterien gesetzt würden, dann hätte dies Sprengkraft nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa.—–Von Gerhard Bläske”Die verbale Radikalisierung und Konfrontation, verbunden mit den ersten Maßnahmen der neuen italienischen Regierung, ist hoch riskant.”—–