Andreas von Arnauld

Ukraine-Krise: „Jeder Staat ist zu Sanktionen berechtigt“

Andreas von Arnauld, Direktor des ältesten Völkerrechtsinstituts der Welt, spricht über Vergleiche zur Krim sowie die Rechtmäßigkeit von Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine.

Ukraine-Krise: „Jeder Staat ist zu Sanktionen berechtigt“

Stefan Reccius.

Herr von Arnauld, von einer „Kriegserklärung“ Wladimir Putins ist die Rede. Geben Sie der Diplomatie überhaupt noch eine Chance oder gilt ab sofort das Recht des Stärkeren?

Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben. Solange es bei der bloßen Anerkennung der beiden „Republiken“ durch Russland bleibt, scheint mir eine diplomatische Lösung noch möglich. Allerdings ist die Sorge berechtigt, dass dies nur die Vorstufe zu einer russischen Militärintervention auf Einladung der Separatisten sein könnte. Eine solche wäre aber kein Recht, das sich der Stärkere selbst schafft, sondern ein Unrecht, um das er sich nicht schert.

Die Bundesregierung prangert einen schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts durch Putin an. Was ist damit konkret gemeint?

Die Bundesregierung treibt sicherlich die Sorge vor einer militärischen Eskalation um. Bei den beiden „Republiken“ handelt es sich nicht um unabhängige Staaten; ihre An­erkennung in der gegenwärtigen Konfliktsituation ist bereits ein gravierender Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot. Würde Putin allerdings der Bitte der Separatisten um Waffenhilfe entsprechen, wäre dies ein bewaffneter Angriff auf die Ukraine – ein massiver Bruch des Völkerrechts.

Die Krim gilt seit 2014 als völkerrechtswidrig von Russland annektiert. Ist das Vorgehen Russlands in den Separatistengebieten der Ostukraine eine Kopie von 2014, eine Art Krim 2.0, oder sehen Sie bedeutsame Unterschiede?

Die Szenarien gleichen sich auf den ersten Blick. Allerdings bleibt abzuwarten, wie Putin weiter agiert. Die Annexion der Krim fand im Zuge des Umsturzes in Kiew nach den Maidan-Protesten vom Februar 2014 statt. Außerdem hatte Russland an der Krim ein klares militärisches und geostrategisches Interesse. Ein vergleichbares Interesse sehe ich in Donezk und Lugansk nicht. Denkbar ist auch, dass wir in eine Situation wie in Abchasien und Südossetien steuern, wo Russland Marionettenregime stützt und sich militärisches Eingreifen lediglich vorbehält, um Druck auf die Regierung von Georgien auszuüben.

Was folgt daraus für Wirtschafts- und Finanzsanktionen des Westens gegen Russland?

Verstöße gegen Gewaltverbot und Annexionsverbot sind völkerrechtlich Rechtsverletzungen gegenüber der Staatengemeinschaft als ganzer, so dass jeder Staat berechtigt ist, nichtmilitärische Gegenmaßnahmen gegen den Aggressor zu richten. Das können dann solche Wirtschafts- und Finanzsanktionen sein. Für bloße Verstöße gegen das Interventionsverbot gilt das nicht. Es sprechen aber gute Gründe dafür, im gegenwärtigen Verhalten Russlands eine verbotene Androhung von Gewalt zu sehen, die vom Gewaltverbot erfasst ist.

Die Ukraine ist nicht Mitglied der Nato. Ist das völkerrechtlich von Bedeutung, etwa für Rechtmäßigkeit und Ausmaß von Sanktionen?

Völkerrechtlich ist dies ohne Be­lang. Nichtmilitärische Sanktionen darf bei einer Verletzung des Ge­waltverbots jeder Staat verhängen, solange der Völkerrechtsverstoß andauert. Und selbst bei einem militärischen Angriff gäbe das Selbstverteidigungsrecht der ukrainischen Regierung das Recht, andere Staaten oder Bündnisse um Unterstützung zu bitten.

Die Bundesregierung weigert sich partout, Waffen an die Ukraine zu liefern. Wie beurteilen Sie diese Haltung – auch vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung damit international zunehmend isoliert dasteht?

Ich deute dies als Ausdruck einer Grundsatzentscheidung der neuen Bundesregierung, keine Waffen mehr in Krisen- und Konfliktgebiete zu liefern. Das ist angesichts vergangener Praktiken zu begrüßen, denkt man zum Beispiel an die Bürgerkriege in Syrien oder im Jemen, wo deutsche Waffen zum Einsatz kamen und kommen. Solange es nicht zu einem offenen militärischen Konflikt mit Russland kommt, erscheint mir diese Haltung auch im Fall der Ukraine sinnvoll, nicht zuletzt, wenn Deutschland glaubhaft eine Vermittlerrolle einnehmen möchte.

Erlaubt das Völkerrecht Waffenlieferungen an die Ukraine, damit sich das Land gegen einen Angriff verteidigen kann? Oder verstoßen die USA und andere damit selbst gegen internationales Recht?

Waffenlieferungen an andere Staaten sind völkerrechtlich nicht verboten, anders als Waffenlieferungen an Aufständische. Ausnahmen gelten bei einem UN-Waffenembargo beziehungsweise werden diskutiert, wenn die Waffen gezielt zur Begehung von Kriegsverbrechen eingesetzt werden. Beides ist für die Ukraine offenkundig nicht der Fall.

Im UN-Sicherheitsrat ist Russland ständige Vetomacht. Sind die Vereinten Nationen in dieser Krise einmal mehr ohnmächtig?

Der UN-Sicherheitsrat ist leider durch das Vetorecht immer dann blockiert, wenn sich eines der fünf ständigen Mitglieder über Recht und Gesetz erhebt. Innerhalb des UN-Systems kommt es dann vor allem auf Generalsekretär und Generalversammlung an.

Wer kann jetzt noch vermitteln?

Außerhalb des UN-Systems ist es primär die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die seit Jahren im Ukraine-Konflikt vermittelt und dies auch weiter tut. Daneben ist es gut und richtig, wenn sich individuelle Staaten wie Frankreich und Deutschland als Vermittler anbieten, auch wenn diese den Balanceakt bestehen müssen, zugleich Teil der „westlichen“ Allianz zu sein.

Halten Sie es für möglich, dass ein internationales Gericht Putin eines Tages zur Rechenschaft ziehen wird oder ist das abwegig?

Eine individuelle Verantwortlichkeit Putins als Person könnte nur eine strafrechtliche sein. Zwar ist der Internationale Strafgerichtshof in­zwischen auch für das Verbrechen der Aggression zuständig, allerdings haben weder Russland noch die Ukraine das Statut des Gerichtshofs ratifiziert. Damit fehlt ihm die Zuständigkeit, ganz abgesehen da­von, dass ich ein Verfahren gegen Putin für unrealistisch halte. Anders sieht es mit Verfahren gegen Russland aus. Hier hat die Ukraine bereits eine Vielzahl von Verfahren gegen Russland initiiert. Diese können aber wegen der sachlich beschränkten Zuständigkeit der angerufenen Ge­richte immer nur Seitenaspekte des Konflikts adressieren. Eine Konfliktlösung muss letztlich politisch erfolgen.

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