Brexit

Unionisten zündeln in Nordirland

EU-Kommissionsvize Sefcovic hat bei seinen Gesprächen in London ein neues Thema: Nordirlands Landwirtschaftsminister Poots hat befohlen, die Kontrollen von Lebensmittellieferungen aus Großbritannien zu stoppen.

Unionisten zündeln in Nordirland

ahe/hip Brüssel/London

Die EU-Kommission hat mit Unverständnis auf einen neuen Streit rund um das Nordirland-Protokoll reagiert, den der Landwirtschaftsminister der britischen Provinz, Edwin Poots von der Democratic Unionist Party (DUP), ausgelöst hat. Dessen Anweisung, Zollkontrollen von Lebensmitteln aus Großbritannien einseitig zu stoppen und damit die Brexit-Vereinbarungen nicht mehr zu erfüllen, wurde in Brüssel als „ein klarer Bruch von internationalem Recht“ gewertet. Poots hatte sich dem „Belfast Telegraph“ zufolge vom ehemaligen Generalstaatsanwalt John Larkin beraten lassen.

Die irische EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte in einem Interview mit dem Sender RTÉ, sie verstehe den Sinn dieses Schritts nicht. Die Ankündigung von Poots habe „für Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit und keinesfalls für Stabilität“ gesorgt. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, erklärte am Donnerstagabend nach einer Videokonferenz mit der britischen Außenministerin Liz Truss, der Schritt sei „nicht hilfreich“ für die laufenden Gespräche über das Nordirland-Protokoll. „Diese Kontrollen sind notwendig, damit Nordirland vom Zugang zum EU-Binnenmarkt für Waren profitieren kann.“

Die Kontrollen gehen derweil lokalen Medienberichten zufolge weiter, während die dafür zuständigen Beamten rechtlichen Rat einholen. Truss und Nordirland-Minister Brandon Lewis kündigten an, bei einem Stopp der Zollkontrollen nicht einzugreifen. Es handle sich um eine Angelegenheit der nordirischen Regierung, erklärten sie.

Anna Cavazzini, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, betonte hingegen, London müsse reagieren und könne dies nicht durchgehen lassen – ansonsten müsse dies Konsequenzen haben. Das Vorgehen stelle die Integrität des EU-Binnenmarktes in Frage.

Auch die Bundesregierung mahnte Großbritannien zur Vertragstreue. „Verträge sind einzuhalten“, sagte Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) der Nachrichtenagentur Reuters. „Das Nordirland-Protokoll gilt. Wir müssen unseren europäischen Binnenmarkt schützen und sind zu Konsequenzen bereit, sollte Großbritannien nicht nach den Regeln spielen.“

Bis zum 5. Mai muss die nächste Wahl zum Regionalparlament stattfinden. Die Ablehnung des Nordirland-Protokolls wird im Wahlkampf eine große Rolle spielen. Es war einst dafür gepriesen worden, die Quadratur des Kreises geschafft zu haben: Rechtlich gehört Ulster zum aus der Staatengemeinschaft ausgetretenen Großbritannien, praktisch aber bleibt es im gemeinsamen Markt mit Resteuropa. Dadurch lässt sich eine harte EU-Außengrenze durch die Grüne Insel vermeiden. Schlagbäume hätten für neue Konflikte zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien in Nordirland sorgen können. Der britische Premierminister Boris Johnson unterschrieb es, weil er einen wie auch immer gearteten Deal mit Brüssel brauchte, um die Unterhauswahlen im Dezember 2019 für sich zu entscheiden. Eine harte innerbritische Grenze auf dem Grund der Irischen See birgt jedoch auch reichlich Konfliktpotenzial, wie sich in der Praxis herausstellte.

Givan tritt zurück

Die Unionisten werden gegen das Nordirland-Protokoll mobilisieren. Dabei will die DUP keine Stimmen an die Hardliner von der Traditional Unionist Voice (TUV) verlieren. Poots’ Stichelei war nur der Anfang. Regierungschef Paul Givan von der DUP, der erst seit acht Monaten im Amt ist, trat am Donnerstag zurück. Nun muss auch seine Stellvertreterin Michelle O’Neill von der nationalistischen Sinn Féin ihr Amt niederlegen.

Die politischen Institutionen der Provinz, die eine Teilung der Macht zwischen Nationalisten und Unionisten sicherstellen sollen, geraten erneut ins Schwanken, auch wenn die anderen Regierungsmitglieder theoretisch bis zu den Wahlen im Amt bleiben könnten. Denn die DUP droht seit Monaten damit, sich aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll aus der Regionalregierung zurückzuziehen. Wenn die anstehenden Wahlen de facto zum Referendum über das Nordirland-Protokoll werden sollten, wären seine Verfasser mit ihrem Anliegen, keine neuen Konflikte heraufzubeschwören, dramatisch gescheitert.

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