Euro-Wirtschaft

Unsichere Konjunktur belastet Kreditvergabe

Die EZB tut alles, um für günstige Finanzierungsbedingungen im Euroraum zu sorgen und die Kreditvergabe anzukurbeln. Neue Kreditdaten schüren nun aber Konjunktursorgen. Das verstärkt das Dilemma der EZB weiter.

Unsichere Konjunktur belastet Kreditvergabe

ms Frankfurt

Die Banken im Euroraum haben zu Jahresbeginn die Kreditstandards für Ausleihungen an Unternehmen verschärft und gehen davon aus, dass sich dieser Trend im zweiten Quartal noch einmal spürbar verstärken wird – nicht zuletzt als Folge des Ukraine-Kriegs und einer erwartet weniger expansiven Geldpolitik der EZB. Zugleich nimmt die Kreditvergabe an Unternehmen weiter zu, allerdings weniger für In­vestitionen, sondern mehr für Lagerhaltung und Betriebsmittel. Das sind zentrale Ergebnisse des am Dienstag veröffentlichten vierteljährlichen Bank Lending Survey (BLS) der Europäischen Zentralbank (EZB) für das erste Quartal 2022.

Unter dem Strich dürften die Ergebnisse die Konjunktursorgen für die Euro-Wirtschaft schüren. Die Wirtschaft in Euroland profitiert zwar einerseits davon, dass Corona-Beschränkungen zunehmend gelockert werden. Andererseits belasten aber die hartnäckig hohe Inflation und der Ukraine-Krieg das wirtschaftliche Geschehen. Die Warnungen vor wirtschaftlicher Stagnation oder gar einer neuerlichen Rezession nehmen zu. Das verstärkt das Dilemma der EZB, die zwischen Rekordinflation und Konjunkturängsten hin- und hergerissen ist.

Zinssitzung am Donnerstag

Für die EZB steht dabei die Kreditvergabe im besonderen Fokus. Sie zielt mit ihren expansiven Maßnahmen vor allem darauf ab, für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen und damit die Kreditvergabe anzukurbeln. Mit Blick auf die Investitionstätigkeit stehen vor allem die Ausleihungen an die Unternehmen im Mittelpunkt. Ein Anziehen der Investitionen gilt vielen als zentrale Voraussetzung für einen selbsttragenden Aufschwung. Die neuen Daten von der Kreditfront kommen unmittelbar vor der Zinssitzung des EZB-Rats am Donnerstag.

Laut der neuen Umfrage verschärften die Euro-Banken im ersten Quartal die Standards für Kredite und Kreditlinien der Unternehmen. Der Prozentsatz der Banken mit strafferen Standards lag um 6 Punkte über dem Prozentsatz von Instituten mit lockereren Standards (siehe Grafik). Laut EZB verwiesen die Banken zur Be­gründung auf die „Wahrnehmung eines erhöhten Risikos und eine geringere Risikotoleranz im Zusammenhang mit hoher Unsicherheit, Unterbrechungen der Versorgungskette und hohen Energie- und Inputpreisen“. Für das Frühjahr werden demnach noch strengere Vergabestandards erwartet – „was wahrscheinlich auf die ungewissen wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und die Erwartung einer weniger akkommodierenden Geldpolitik zurückzuführen ist“, wie die EZB mitteilte.

Die Nachfrage der Unternehmen nach Krediten zog zwar im ersten Quartal weiter an, und das dürfte sich laut den Banken auch im Frühjahr fortsetzen. Laut EZB wurde die Nachfrage stark angekurbelt vom Finanzierungsbedarf der Unternehmen für Betriebskapital. Das wiederum spiegele „Unterbrechungen in der Versorgungskette sowie vorsorgliche Lagerbestände und Liquiditätsvorräte“ wider, so die EZB. Anlageinvestitionen wirkten sich demnach zwar weiterhin positiv auf die Kreditnachfrage aus, allerdings weniger stark als im Vorquartal. „Die Kreditnachfrage der Unternehmen blieb stark, allerdings nicht unbedingt aus den richtigen Gründen“, sagte auch Bert Colijn, leitender Euro-Volkswirt bei der ING, zu den Ergebnissen.

„Die derzeitigen Bedingungen für die Kreditvergabe der Banken im Euroraum sind nach wie vor günstig, aber alles deutet auf eine deutliche Verschärfung der Kreditstandards im zweiten Quartal 2022 hin, wobei die Kreditnachfrage in Zukunft abnehmen wird“, hieß es von den Experten der US-Großbank Morgan Stanley um Europa-Chefvolkswirt Jens Eisenschmidt. Entgegen der in der Umfrage geäußerten Erwartung der Banken gehen sie davon aus, dass die Kreditnachfrage der Unternehmen im zweiten Quartal sogar deutlich nachgeben wird.

„Warnung“ für die EZB

Die Ergebnisse der Umfrage dürften für die EZB eine gewisse „Warnung“ darstellen, sagte ING-Experte Colijn. Die finanziellen Bedingungen würden derzeit weitgehend verschärft, was sich in den kommenden Monaten dämpfend auf die Kreditvergabe der Banken auswirken werde. „In einer Wirtschaft, die sich aufgrund des Krieges in der Ukraine bereits verlangsamt hat, verschärft dies die Zwickmühle, in der sich die EZB befindet: auf die hohe aktuelle Inflationsrate einwirken, um sicherzustellen, dass die Inflationserwartungen verankert bleiben, oder die Politik relativ akkommodierend halten, um die wirtschaftliche Verlangsamung nicht zu verschlimmern.“

Der EZB-Rat hat zuletzt signalisiert, dass er trotz des Ukraine-Kriegs an der schrittweisen Normalisierung der ultraexpansiven Geldpolitik festhalten will. Über das Tempo gehen die Meinungen der Notenbanker aber auseinander. Am Donnerstag dürfte es lebhafte Diskussionen geben. Für die Juni-Sitzung werden dann weitere Entscheidungen erwartet.