Fachkräftemangel

Unternehmen locken mit Zusatz­angeboten für Berufs­anfänger

Besonders kleinere Betriebe auf dem Land tun sich schwer bei der Mitarbeitersuche. Doch auch sie werden längst kreativ.

Unternehmen locken mit Zusatz­angeboten für Berufs­anfänger

Von Anna Steiner, Frankfurt

Mehr als jedes dritte Unternehmen in Deutschland beklagt den Fachkräftemangel (siehe Text oben). Die Corona-Pandemie konnte diesen Engpass nur temporär etwas dämpfen (siehe Grafik). Um junge Menschen anzulocken, reicht es längst nicht mehr, nur tarifkonforme Löhne zu bezahlen. Der Nachwuchs will für ein gutes Unternehmen arbeiten; die Themen soziale Verträglichkeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit gewinnen an Bedeutung. Auch die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, wird immer mehr geschätzt.

Während es den Dax-Unternehmen und anderen großen Betrieben noch vergleichsweise leichtfällt, geeignete Mitarbeiter zu finden, leidet besonders der für die deutsche Wirtschaft so wichtige Mittelstand unter fehlenden oder nicht ausreichend qualifizierten Bewerbern. Allerdings warten die Personaler nicht darauf, dass die Politik etwas tut, sondern werden selbst aktiv – und kreativ.

Kreativität gefragt

Kleine und mittlere Unternehmen – besonders im ländlichen Raum – haben gegenüber den Großen ihrer Branche meist den Nachteil, dass sie nicht so bekannt sind. Auf dem Land wird die Situation dadurch er­schwert, dass es die jungen Leute in die Stadt zieht. Hinzu kommt, dass Informationsveranstaltungen in Schulen oder auf Berufsmessen aufgrund der Coronavirus-Pandemie in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht oder nur eingeschränkt im digitalen Raum stattgefunden haben. Dabei sind ebendiese eine gute Gelegenheit für weniger bekannte Betriebe, sich interessierten Schulabgängern zu präsentieren und diese für eine Lehrstelle in ihrem Betrieb zu rekrutieren. Aber auch während der Krise bleiben die Betriebe kreativ und nutzen ihre Vorteile: familiäre Arbeitskultur, Mitarbeiterbindung, persönliche Be­treuung.

Die Ausbildungsbereitschaft des deutschen Handwerks sei ungebrochen, sagt eine Sprecherin des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH): „Die Corona-Pandemie hat unsere Betriebe noch einmal besonders gefordert, neue Instrumente einzusetzen und Wege zu beschreiten, um junge Menschen über die Möglichkeiten einer beruflichen Ausbildung zu informieren.“ Innerhalb kurzer Zeit seien viele digitale Angebote auf den Weg gebracht worden.

Zudem würden Schulabgänger mit zusätzlichen Prämien gelockt. So gebe es etwa im Metallhandwerk einige Betriebe, die ihren Auszubildenden je nach Leistung für gute Noten im Berufsschulzeugnis einen Aufschlag zahlten. Auch die Fahrtkosten zur Ausbildungsstätte übernehmen zahlreiche mittelständische Betriebe. Ein Azubi-Wochenende, das Sommerfest und teambildende Events gehören schon fast zum Standard. In vielen Unternehmen bekommen schon die Auszubildenden Firmenhandys – und ihnen wird gestattet, im Rahmen des Möglichen ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten.

Noch kreativer geht es etwa im Bäckerhandwerk zu. Allerdings spielen hier weniger die materiellen Anreize eine Rolle. Vielmehr soll dem Drang nach Selbstverwirklichung der jungen Menschen Rechnung getragen werden. So bietet eine Bäckerei etwa ein Austauschprogramm mit Frankreich an. Das ist für einen mittelständischen Betrieb ohne ausländische Produktionsstandorte keine Kleinigkeit.

Große Unternehmen wie die Dax 30 haben schon aufgrund ihrer Größe und Bekanntheit mehr Bewerber als der Mittelstand. Eine ganze Reihe von Dax-Unternehmen bietet zudem in Kooperation mit Universitäten und Hochschulen in Deutschland duale Ausbildungen an, die passgenau auf die Stellen zugeschnitten sind.

Dabei werden auch die Herzensthemen der jungen Menschen integriert. Die Fresenius-Gruppe etwa konzentriert sich bei ihren dualen Ausbildungsberufen unter anderem auf die Schwerpunktthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Zudem können seit der Pandemie nicht nur festangestellte Mitarbeiter von zuhause arbeiten. Auch Lehrlinge, Studenten und Praktikanten nutzen die Möglichkeit des mobilen Arbeitens, was laut einem Sprecher auf „großen Zuspruch“ stößt und auch nach der Pandemie beibehalten werden soll. Neben der flexiblen Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung, die dem Nachwuchs aufgrund des Wunsches nach einer möglichst ausgeglichenen Work-Life-Balance zugestanden werden soll, gibt es aber auch finanzielle Anreize.

Viele Unternehmen bezahlen nicht nur ein Jobticket und Prämien für besonders gute Noten während der Ausbildung. Auch ein Diensthandy gehört vielerorts zum Standard. Der Chemie- und Pharmakonzern Merck etwa stellt den Auszubildenden einen Laptop zur Verfügung, den sie nach erfolgreichem Abschluss behalten dürfen. Bei dual Studierenden übernimmt das Unternehmen zudem Verwaltungs- und Studiengebühren.

Auch die Arbeitsplatzsicherheit spielt für junge Fachkräfte eine große Rolle. Viele Unternehmen werben mit hohen Übernahmequoten, das heißt, dass nach Abschluss des Studiums oder der Ausbildung ein fester Arbeitsvertrag – in einigen Fällen unbefristet – winkt.

Mehr Auslandserfahrung

Bei Deutscher Bank und Adidas wurde ein Mentoring-Programm aufgebaut. Jedem Neuankömmling im Unternehmen wird für eine bestimmte Zeit ein Mentor zur Seite gestellt, der bei Fragen zum Arbeitsalltag erster Ansprechpartner ist und eine persönliche Betreuung gewährleisten soll. Er begleitet die angehenden Nachwuchskräfte beim Berufseinstieg, bietet Vernetzungsmöglichkeiten mit bereits Angestellten und anderen Auszubildenden und ermöglicht etwa auch den Austausch mit Standorten im Ausland. Denn viele junge Interessierte wünschen sich neben einem ordentlichen Gehalt und größtmöglicher Flexibilität bei gleichzeitiger Sicherheit auch Auslandserfahrung. Covestro etwa bietet seinen Angestellten die Möglichkeit eines Gap-Years, auch Angestellte von MTU Aero Engines können ein Sabbat-Jahr beantragen.

Besondere Schwierigkeiten bei der Mitarbeitersuche zeigen sich in beinahe allen Unternehmen im IT-Bereich. Der Hannoveraner Autozulieferer Continental hat seine eigene Software-Akademie aufgebaut, wo neue Mitarbeiter ausgebildet und bereits Angestellte weitergebildet werden.

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