Verfassungsrichter nehmen sich Zeit für gründliche Prüfung
bal/lz/wf Frankfurt/Berlin – Das Bundesverfassungsgericht wird möglicherweise über die Verfassungsklagen gegen Euro-Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt erst im Herbst, dafür gründlicher entscheiden. Dies signalisierte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der mündlichen Verhandlung zum Eilverfahren in Karlsruhe. Eine schnelle Entscheidung im Eilverfahren, die vor allem formal begründet werde, könne ein falsches Signal aussenden, sagte Voßkuhle laut Nachrichtenagentur Reuters.”Wir sehen doch alle die Schlagzeilen: Euro-Rettung durch Deutschland gestoppt”, sagte Voßkuhle. Sinnvoll sei deshalb, sich etwas mehr Zeit zu lassen und eine erste inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Als Perspektive nannte er drei Monate. Damit wäre eine “sehr sorgfältige summarische Prüfung” möglich. Im Eilverfahren geht es üblicherweise nur um eine Folgenabwägung.Zunächst hatte das Gericht eine Entscheidung im Eilverfahren nach rund drei Wochen ins Auge gefasst. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bat das Gericht, bei Prüfung der Eilanträge die Verfassungsmäßigkeit von ESM und Fiskalpakt gleich mit zu beleuchten. Voßkuhle sagte, es gebe die Möglichkeit, eine Art Zwischenverfahren vorzunehmen. Die Prüfung benötige mehr Zeit als im Eilverfahren, sei aber deutlich kürzer als im normalen Hauptsacheverfahren.Schäuble hatte seiner Stellungnahme zugleich auf eine zügige Entscheidung gedrungen. Eine längere Verzögerung der Gesetze, die Bundestag und Bundesrat am 29. Juni mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet hatten, könne weit über Deutschland hinaus zu “erheblicher Verunsicherung an den Märkten” führen.Der auf Dauer angelegte ESM folgt dem vorläufigen Schirm EFSF und sollte eigentlich bereits am 1. Juli starten. Um die Finanzmärkte zu beruhigen, war der Termin vorgezogen worden. Bundespräsident Joachim Gauck will die Entscheidung der höchsten Richter abwarten, bevor er die Gesetze unterschreibt und diese rechtskräftig werden. Die verschiedenen Kläger sehen in neuen EU-Instrumenten eine Verletzung der Souveränitätsrechte des Bundestags. Zudem gehen ihnen die EU-Integrationsschritt zu weit.Nach Ansicht von Maxim Kleine, Europarechtsexperte der Kanzlei Oppenhoff & Partner, werden sich die Karlsruher Richter nicht von den Warnungen von Schäuble beeindrucken lassen, der unabsehbare Folgen für den Euroraum im Falle einer Ablehnung der Gesetze in Aussicht gestellt hatte. Das Gericht sei sich der Tragweite seiner Entscheidungen stets bewusst. Und “Angst vor den außenpolitischen Folgen der eigenen Einscheidungen hatte Karlsruhe noch nie”, sagte Kleine im Interview der Börsen-Zeitung. Dieses gelte auch in Bezug auf die Finanzmärkte.Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser sagte der Börsen-Zeitung: “Das Bundesverfassungsgericht hat bei seiner letzten Entscheidung deutlich gemacht, dass es das gute Recht der Bundesregierung ist, die deutsche Wirtschaft und die Staatsfinanzen vor die Wand zu fahren – solange sie sich dabei nur im Rahmen der Verfassung hält.” Der Bielefelder Professor würde ein Scheitern des ESM begrüßen, sagte er.—– Nebenstehender Kommentar- Schwerpunkt Seite 7