„Vielleicht kann man mal einen Staatsgast per Lufttaxi ins Kanzleramt fliegen“
Stefan Paravicini
Herr Professor Rammler, wie bewerten Sie als Mobilitäts- und Zukunftsforscher die verkehrspolitische Bilanz der zu Ende gehenden Legislaturperiode?
Die Bewertung fällt kurz aus, auch wenn ich etwas weiter zurückschaue: Ich halte die letzten drei Verkehrsminister für ziemliche Rohrkrepierer. Das ist schlechte, unterkomplexe Verkehrspolitik, die viel mit den Interessen der CSU zu tun hat. Diese Politik für bestimmte industrielle Cluster muss aufhören. Die Automobilwirtschaft und die Mobilitätswirtschaft spielen für den Standort Deutschland zwar eine große Rolle. Das kann aber kein Argument sein, die Chancen künftiger Generationen zu verspielen.
Welche Aufgaben kommen auf die nächste Regierung zu?
Die Aufgaben für die Verkehrspolitik sind richtig groß, weil in den vergangenen Jahren so wenig passiert ist. Man hat es ja noch nicht einmal hinbekommen, die Infrastruktur für den fossilen Autoverkehr modern zu halten. Wir haben daher nicht nur die Aufgabe einer großen Nachhaltigkeitstransformation, weg von den fossilen Energieträgern, sondern außerdem das riesige Problem, dass die bestehende Verkehrsinfrastruktur nicht resilient ist. Sie ist hochvulnerabel, sie ist alt und muss modernisiert werden. Ein Großteil der Brücken, Tunnel und Unterführungen für den rollenden Verkehr ist marode. Jetzt kommen noch vermehrte Starkwetterereignisse als Folge des Klimawandels dazu. Das ist eine richtig große Aufgabe, und gleichzeitig müssen wir den richtigen Transformationspfad von der fossilen Mobilität vor allem in den ländlichen Regionen so hinkriegen, dass die industriepolitischen Interessen nicht beschädigt werden und die Bevölkerung auch mitzieht. Das wird nur über eine kluge Politik von Push und Pull gehen, das wird teuer werden und es erfordert viel politischen Mut.
Wem trauen Sie diesen Mut am ehesten zu?
Ich hoffe, dass das Verkehrsministerium nicht wieder in die Hände der CSU fällt. Was wir brauchen, ist ein integriertes Verkehrs-, Bau-, Wohn- und Digitalministerium. Ein Infrastrukturministerium, das man auch als Transformationsministerium bezeichnen könnte und das die Aufgabe hat, die fossil ausgerollten Infrastrukturen Stück für Stück umzubauen, also die Verkehrswende mit der Energiewende zu kombinieren.
Sie sind kein Fan der CSU. Wie sieht es mit den Grünen aus?
Ich glaube die Grünen sollten das Ministerium übernehmen. Denn auch die SPD ist vor dem Hintergrund ihrer Verbindungen zur Automobilwirtschaft über die Gewerkschaften in einem Double Bind. Sie will Nachhaltigkeit, ist dabei aber stärker an eine konsensuale Politik gebunden als die Grünen. Es braucht den Mut, der Bevölkerung zu sagen, dass wir unsere Mobilität verändern müssen. Das wird viele konfliktreiche politische Debatten erfordern.
Die Grünen werden gerne als Verbotspartei verunglimpft. Brauchen wir als Teil der Mobilitätswende ein Verbot von Mittelstreckenflügen?
Der Bericht des Weltklimarats hat erst in dieser Woche untermauert, wie groß die Risiken des Klimawandels sind. Die Situation ist dramatisch und rechtfertigt auch dramatische Entscheidungen. Unter bestimmten Bedingungen würde ich ein Verbot gutheißen, wenn es etwa ein funktionierendes Nachtzugsystem gibt und die Bahn 100% verlässlich ist. Im Moment ist die Bahn ein hochvulnerables, nicht besonders effizient funktionierendes System. Das Verbot von Kurzstreckenflügen wird dann politisch umsetzbar sein, wenn es auf den gleichen Strecken Sonderangebote der Bahn gibt.
Die Bahn spielt mit Blick auf die Klimaziele der Bundesregierung für den Verkehrssektor schon heute eine zentrale Rolle. Bürdet man dem Staatskonzern zu viel auf?
Man kann der Bahn gar nicht zu viel aufbürden. Das Rückgrat jeder Form von nachhaltiger Mobilität sind die kollektiven integrierten Verkehrssysteme. Das ist einfach so, weil die Kombination von Massenleistungsfähigkeit, geringer Flächenintensität und geringer Emissionsintensität am besten ist. Man wird der Bahn viel aufbürden müssen, ihr aber auch großen finanziellen und regulativen Spielraum geben müssen. Die Bahn ist deshalb eines der wichtigsten, aber auch eines der schwierigsten Teilpolitikfelder der Mobilitätspolitik der Zukunft. Man hat aber zumindest begriffen, dass es ohne die Bahn nicht gehen wird.
Wie muss die Rolle der Bahn im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsträgern in Zukunft konkret aussehen?
Wir können den Luftverkehr stärker regulieren, wenn wir den europaweiten Nachtverkehr mit Zügen ausbauen. Wir müssen die Regionalverkehre der Bahn zusammen mit automatisierten Autobausteinen zu einem gut integrierten und digital vernetzten Gesamtverkehrssystem ausbauen, in dem es nicht mehr um den Besitz, sondern um die anteilige Nutzung der Mobilitätsangebote geht. Das ist das Leitbild der Verkehrspolitik der Zukunft, das haben wir mit der Politik alles schon tausendmal diskutiert.
Die Bahn soll auch im Güterverkehr wieder Marktanteile zurückholen. Liegen bei der Fracht die größeren Herausforderungen für die Verkehrspolitik?
Ein Päckchen hat keine Emotionen, keine Sozialisation, keine Routinen und Gewohnheiten. Einem Päckchen ist es egal, wie es transportiert wird. Das ist anders als bei Menschen, die mentale Muster, Routinen und festgelegte Anforderungen an gelingende Mobilität haben. Die politischen Diskussionen rund um die Gütermobilität sind aus dieser Perspektive einfacher. Andererseits ist der Gütertransport einer der großen Wachstumsmärkte der Mobilität und wir haben derzeit gar nicht die Infrastruktur, um auch nur einen Teil davon auf die Bahn zu verlagern.
Bereitet Ihnen in diesem Zusammenhang der Siegeszug des E-Commerce während der Pandemie Kopfzerbrechen?
Das betrifft besonders die regionalen und lokalen Transporte. Durch das Wachstum des E-Commerce ist die Lieferlogistik so mächtig geworden, dass da meines Erachtens kaum noch ein Rückweg offensteht. Amazon ist in der Pandemie ein geopolitischer Akteur geworden, das ist politökonomisch kaum noch einzufangen. Die wollen alles liefern und Rund-um-die-Uhr-Anbieter werden.
Welche Rolle spielen neue Angebote wie Ridesharing oder Elektroroller für die Mobilitätswende?
Neue Formen der Mobilität wie die Idee des Ridesharing sind sehr wichtig für urbane Kontexte, weil es die einzige Möglichkeit ist, einen gut portionierbaren Autobaustein im Rahmen eines effizienten Stadtverkehrs anzubieten. Denn auch in der Stadt wird es weiterhin Bedarf für Individualverkehr geben. Ein Teil dieses Bedarfs kann auch durch Roller und Bikesharing-Systeme gedeckt werden, wobei ich nicht ganz so überzeugt bin, dass das einen großen Anteil an der Mobilitätswende haben wird. Aber jede Form von neuer Mobilität, die auf elektromobiler Basis an das System der öffentlichen Mobilität andockt und dazu beiträgt, dass die Leute ihr eigenes Auto abschaffen oder stehen lassen, ist erst einmal eine gute Sache.
Gilt das auch für Flugtaxis oder Drohnen?
Auch für diese Mobilitätsangebote gibt es einen Bedarf, etwa wenn es um besonders kritische Transporte geht. Vielleicht kann man ja auch einmal einen Staatsgast in Berlin per Lufttaxi ins Kanzleramt fliegen, statt immer gleich die Straße des 17. Juni zu sperren und damit den Stadtverkehr zum Erliegen zu bringen. Das wird aber kein massenleistungsfähiges System sein, davon bin ich fest überzeugt. Der Energieaufwand, Menschen mit Volocoptern oder Drohnen durch die Luft zu transportieren, ist im Übrigen enorm. Dafür sollten wir keine wertvollen regenerativen Energien verwenden.
Sie haben sich wiederholt dafür ausgesprochen, dass die Kommunen die Mobilitätswende selbst in die Hand nehmen und nicht auf Bund und Länder warten. Kann das funktionieren?
In den Kommunen gibt es eine große Fühlungsnähe zwischen Problementstehung und Problemlösung, und auch die Nähe von Politik und Bürgern ist vorhanden. Das ist wichtig, denn wir brauchen für eine Mobilitätswende eine sehr mutige Politik, und den Kommunen stehen viele Instrumente zur Verfügung, etwa beim Management von Parkraum. Sie brauchen aber natürlich die Unterstützung von der Landes- und Bundespolitik sowie von der europäischen Ebene, gerade bei den großen Regulierungs- und Infrastrukturthemen. Beides zusammen, dann wird ein Schuh draus.
Das Interview führte
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