Vietnams Spagat zwischen Macht und Markt

Wirtschaftsreformer Nguyen auf dem Rückzug

Vietnams Spagat zwischen Macht und Markt

Von Ernst Herb, BangkokVietnam hat Ende Januar mit einem wichtigen Personalentscheid den Spagat zwischen freier Marktwirtschaft und Kommunismus noch etwas weiter gespreizt. Der langjährige Premierminister Nguyen Tan Dung hat einen parteiinternen Machtkampf mit dem Chef der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, verloren und dürfte bereits dieses Jahr von der öffentlichen Bühne abtreten.Dabei war es Dung, der in den vergangenen Jahren die Wirtschaftsreformen in einem ungewöhnlich rasanten Tempo vorangetrieben hat. Trong hingegen, der sein Mandat für eine weitere vierjährige Amtszeit weiterführen wird, gilt als konservativer Apparatschik.Der 66-jährige Premierminister hat einen beachtlichen Leistungskatalog vorzuweisen. Immerhin ist Vietnam mit einem von der Asiatischen Entwicklungsbank projizierten Wachstum von 6,7 % in diesem Jahr zu einer der weltweit dynamischsten Volkswirtschaften aufgestiegen. Anders als die regionalen Konkurrenten China, Thailand oder auch Indonesien hat die ehemalige französische Kolonie gegenwärtig auch nicht mit rückläufigen Exporten und fallenden ausländischen Direktinvestitionen zu kämpfen.Unternehmen verlegen bereits seit einiger Zeit im beschleunigten Tempo Arbeitsplätze aus China und Thailand nach Vietnam, das mittlerweile einer der weltweit führenden Exporteure von Textilien und Smartphones geworden ist. Doch hat in den vergangenen Jahren die Diskrepanz zwischen einem von ausländischen Unternehmen getragenen Exportboom und den international wenig wettbewerbsfähigen lokalen Gesellschaften zugenommen. Mangelnde RechtssicherheitDer Binnenmarkt wird weiter von schwerfälligen, aber politisch sehr mächtigen staatlichen Konzernen beherrscht, die innovativen lokalen Privatunternehmen das Leben schwermachen. Das Investitionsklima leidet auch an mangelnder Rechtssicherheit. All das behindert das Entstehen einer dynamischen Zivilgesellschaft, die das Rückgrat aller fortgeschrittenen Volkswirtschaft ist.Die Regierung hat mit der Ende 2015 verordneten Voll- oder Teilprivatisierung von Großunternehmen den Spezialinteressen den Kampf angesagt. Nicht zuletzt dies hat bei konservativen Kräftigen die Angst geschürt, Dung könnte zu mächtig werden und die alten Machtstrukturen auflösen. Der Ministerpräsident hat sich auch deshalb Feinde geschaffen, weil es bei der von ihm vorangetrieben Reform des Finanzsektors zu krassen Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die das Land vor sechs Jahren zeitweise an den Rand einer Finanzkrise geführt hatten.Nicht alle reformorientierten Politiker und Technokraten werden mit Dung aus der obersten Führungsschicht des Landes verschwinden. Die Frage bleibt dennoch, wie weit Vietnam den Spagat zwischen einem schwerfälligen Staatskapitalismus und einer weltoffenen Marktwirtschaft aushalten kann.