Vorkrisenniveau in Sicht
ba Frankfurt
Steigenden Corona-Infektionszahlen und damit einhergehenden Sorgen vor neuerlichen Einschränkungen zum Trotz geht es mit der deutschen Wirtschaft aufwärts. Viele Dienstleistungsunternehmen nehmen nach den Lockerungen ihre Arbeit wieder auf, die Verbraucher sind in Konsumlaune und die Auftragsbücher der Industrie sind so prall gefüllt wie nie. Zudem wird erwartet, dass die hinterherhinkende Produktion wieder in Fahrt kommt, sobald sich die Lieferengpässe im Jahresverlauf auflösen. Die Stimmung in den Firmen ist gut, und die Zahl derer, die sich wegen der Folgen der Krise in ihrer Existenz gefährdet sehen, nimmt sukzessive ab.
„Die Wirtschaftsleistung in Deutschland nahm im zweiten Quartal 2021 wohl wieder kräftig zu“, urteilen die Ökonomen der Bundesbank im Monatsbericht Juli. „Sie dürfte den im Winterquartal vor allem aufgrund der zeitweilig wieder verschärften Pandemie-Schutzmaßnahmen erlittenen herben Rückschlag in etwa wettgemacht haben.“ Einen ersten Hinweis zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Monaten April bis Juni gibt das Statistische Bundesamt (Destatis) Ende kommender Woche.
Im Startabschnitt 2021 war das BIP wegen der erneuten coronabedingten Restriktionen um 1,8% zum Vorquartal abgerutscht. Das Ifo-Institut erwartet für das Frühjahr ein BIP-Plus von 1,3%, im Sommer sollen es dann +3,6% werden. Gemessen am Ifocast, der auf einem breiten Spektrum von Indikatoren beruht, steht aktuell für das zweite und dritte Quartal nur ein Zuwachs von 1,04% bzw. 0,59% zu erwarten – die Prognoseunsicherheit ist dabei sehr hoch (siehe Grafik). Der wöchentliche Aktivitätsindex der Bundesbank (WAI) legt eine trendbereinigte Wirtschaftsaktivität in den 13 Wochen bis zum 18. Juli um 1,2% über der Aktivität der vorhergehenden 13 Wochen nahe. Für das Gesamtjahr zeigen sich die Münchener Wirtschaftsforscher mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 3,3% eher vorsichtig, die Bundesbank erwartet ein Plus von 3,7%, die EU-Kommission +3,6%. Im Coronajahr 2020 war das BIP um 4,8% eingebrochen.
Auftragsbücher prall gefüllt
Im Sommer dürfte das Expansionstempo den Bundesbank-Ökonomen zufolge durchaus noch zulegen, so dass das reale BIP „schon im dritten Vierteljahr sein Vorkrisenniveau wieder erreichen“ könnte – sofern „es mit Blick auf die Pandemie zu keinen nennenswerten Rückschlägen kommt und die Lieferengpässe in der Industrie zumindest schrittweise nachlassen“. Derzeit klafft zwischen Industrieproduktion und Auftragseingang eine große Lücke. Die Betriebe schaffen es angesichts der Materialengpässe bei wichtigen Vorprodukten wie Halbleitern nicht, Bestellungen abzuarbeiten.
Dementsprechend erhöhte sich der Auftragsbestand im Mai um 2,2%. Den Wiesbadener Statistikern zufolge ist er „damit seit Juni 2020 gestiegen und erreichte im Mai 2021 seinen höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Januar 2015“. Trotz des Rückgangs im Mai lägen die Neubestellungen immer noch über dem Umsatzniveau, betonte Destatis. Die Reichweite – die Anzahl der Monate, die produziert werden müsste, nur um bereits vorhandene Aufträge abzuarbeiten, – verharrte bei 7,0 Monaten. Ökonomen erwarten, dass die Industrie auch im Juli Stärke zeigt. So soll der entsprechende Teilindex des Einkaufsmanagerindex, der am Freitag veröffentlicht wird, leicht von 65,1 auf 64,6 Punkte sinken, wohingegen der Indikator der Dienstleister von 57,5 auf 60,0 Zähler klettern sollte. Beide Barometer signalisieren damit Wachstum.
Für Schwung, so heißt es bei der Bundesbank weiter, sorgt derzeit der Dienstleistungssektor. Die Lockerungen hätten hier „ab Mai zu einem kräftigen Anstieg der Aktivität“ geführt. Laut Destatis ist der Umsatz im Gastgewerbe im Mai kalender- und saisonbereinigt real (preisbereinigt) um 13,7% und nominal (nicht preisbereinigt) um 14,2% zum April gestiegen. Damit lag der Umsatz kalender- und saisonbereinigt real aber noch 64,5% unter dem Niveau von Februar 2020, dem Monat vor Ausbruch der Corona-Pandemie hierzulande. Dass das Vertrauen der Konsumenten zurückgekehrt ist, zeigt eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): So ist das Verbrauchervertrauen von knapp 97 Punkten im ersten auf rund 106 Punkte im zweiten Quartal gestiegen und übertrifft damit das Vorkrisenniveau.