IM INTERVIEW: CARSTEN KLUDE, M.M. WARBURG

"Wachstum könnte von neuer Regierung profitieren"

Steuerentlastungen und mehr Staatsausgaben im Programm - "Transferunion in Europa hilft niemandem"

"Wachstum könnte von neuer Regierung profitieren"

Die Chefvolkswirte des privaten Bankgewerbes stellen in ihrem Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bankenverbandes regelmäßig Konjunkturprognosen. Zudem empfehlen sie der Politik, auf welchen Wegen das Wachstum zu stabilisieren ist. Ihr Vorsitzender, Carsten Klude, Chefvolkswirt des Privatbankhauses M. M. Warburg in Hamburg, antwortete auf Fragen der Börsen-Zeitung.- Herr Klude, müssen Sie die Wachstumsprognosen wegen des Ausgangs der Bundestagswahl ändern? Sind die Aussichten jetzt positiver, negativer, oder ist es egal, wer in Berlin regiert?An der guten Konjunktur ändert der Wahlausgang zunächst nichts. Im Gegenteil: Kommt es tatsächlich zu einer Koalition aus Union, FDP und Grünen, könnte das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren hiervon sogar profitieren, denn diese Parteien haben in ihren Wahlprogrammen Steuerentlastungen und zusätzliche Staatsausgaben vorgeschlagen. Mittel- und längerfristig ist es für unsere Wirtschaft alles andere als egal, wer in Berlin regiert. Dies haben wir mit den Reformen nach der Jahrtausendwende eindrucksvoll erleben können.- Frühindikatoren und Realindikatoren gehen immer weiter auseinander: Wie verlässlich sind eigentlich die Konjunkturumfragen noch?Die Frühindikatoren sind weiterhin aussagekräftig. Sie unterstreichen, dass die deutsche Wirtschaft das vierte Jahr in Folge stärker wächst als im langfristigen Trend. Wir befinden uns also in einem konjunkturellen Boom. Auch die Weltwirtschaft erlebt erstmals seit der Finanzkrise einen synchronen Aufschwung, von dem Industrie- und Schwellenländer gleichermaßen profitieren. Dies wirkt sich sehr positiv auf Deutschland aus.- Trotz der enormen Digitalisierung kommt die Produktivität nicht recht vom Fleck. Woran liegt das?Für die sehr schwache Produktivitätsentwicklung gibt es viele Erklärungsversuche. So spielt der strukturelle Wandel hin zum Dienstleistungssektor, in dem die Produktivitätsfortschritte grundsätzlich niedriger sind als in der Industrie, eine wichtige Rolle. Ferner gibt es viele Beispiele für einen faszinierenden technischen Fortschritt, der jedoch mehr oder weniger frei zugänglich ist. Dies bedeutet, dass man zwar die Annehmlichkeiten dieses Fortschritts gerne nutzt, aber eben nicht bereit ist, dafür zu zahlen. Wenn dem so ist, kann sich dieser technische Fortschritt auch in keiner Statistik niederschlagen.- Die IG Metall will mit einer Lohnforderung von über 6 % in die Tarifrunde gehen. Ist das angebracht?Ich möchte überhaupt nicht auf die konkrete Lohnforderung eingehen, sondern zwei grundsätzliche Aspekte betonen. Erstens kann sich angesichts der Arbeitsmarktentwicklung und der Sorge vor einem Fachkräftemangel der Spielraum durchaus etwas zugunsten höherer Löhne verschieben. Wichtig ist aber, dass man das Augenmaß nicht verliert. Zweitens gibt es bei den Gewerkschaften auch Überlegungen, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen. Mit Blick auf den demografischen Wandel und die Sorgen bezüglich der Fachkräfte wären Lohnerhöhungen einer Arbeitszeitverkürzung auf jeden Fall vorzuziehen.- Die Fed setzt die Zinswende nun tatsächlich um. Was heißt dies für die EZB?Auch die EZB wird nun allmählich aus ihrem geldpolitischen Krisenmodus aussteigen. Ab Januar 2018 dürfte das Anleihenkaufprogramm schrittweise reduziert werden und bis Jahresende auslaufen. Wünschenswert wäre auch ein rasches Ende der Negativzinsen. Um die Risiken und Nebenwirkungen der Negativzinspolitik etwas abzufedern, hat der Bankenverband einen Freibetrag der EZB für die Überschussliquidität der Geschäftsbanken vorgeschlagen. In der Schweiz und in Japan, wo die Notenbanken ebenfalls mit Negativzinsen arbeiten, gibt es so etwas schon.- Deutschland und Frankreich sind nach der Bundestagswahl aufgerufen, Lokomotive für institutionelle Reformen in Europa zu sein. Driften wir in Richtung Transferunion?Eine reine Transferunion hilft niemandem weiter, das hat sich inzwischen weit herumgesprochen. Stattdessen sind weitere Reformen zur dauerhaften Stabilisierung der Währungsunion notwendig. Bei der konkreten Umsetzung kommt es entscheidend darauf an, mit den Reformen die richtigen Anreize und Lenkungssignale zu setzen. Ich bin immer noch zuversichtlich, dass es der neue französische Regierung, die inzwischen auch im eigenen Land wichtige Reformen in Angriff nimmt, gemeinsam mit der künftigen Bundesregierung gelingt, hier wichtige und richtige Impulse zu geben.—-Die Fragen stellten Stephan Lorz und Angela Wefers.