ANSICHTSSACHE

Währungsvertrauen, Euro und der Brexit

Börsen-Zeitung, 1.2.2019 Im Jahr 1966 publizierte der Kölner Ökonom Günter Schmölders sein Buch über die "Psychologie des Geldes". In dem nach wie vor aktuellen und lesenswerten Buch machte der Autor in einer empirischen Umfrage eine interessante...

Währungsvertrauen, Euro und der Brexit

Im Jahr 1966 publizierte der Kölner Ökonom Günter Schmölders sein Buch über die “Psychologie des Geldes”. In dem nach wie vor aktuellen und lesenswerten Buch machte der Autor in einer empirischen Umfrage eine interessante Entdeckung. Auf die Frage, ob die DM stabil bleiben würde, antwortete eine große Mehrheit der Befragten mit Ja: Die DM als das Symbol für den Wiederaufstieg im Nachkriegsdeutschland fand die allerhöchste Wertschätzung.In der gleichen Umfrage antworteten die Probanden aber auch, dass sie einen Anstieg der Preise, also Inflation, erwarteten. Für Ökonomen war diese Antwort überraschend und widersprüchlich, wird doch üblicherweise der Wert einer Währung in der Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus gemessen: Auf beide Fragen hätte also eigentlich gleich geantwortet werden müssen: Stabilität der Währung heißt Preisniveaustabilität.Schmölders interpretierte diesen Widerspruch aber mit einer psychologischen Erklärung: Offensichtlich gebe es ein allgemeines Währungsvertrauen, das sich von dem eigentlichen Geldwertvertrauen, also der erwarteten Inflationsrate, unterscheide. Man könnte dies in modernen ökonomischen Begriffen als eine Verhaltens- oder Wahrnehmungsanomalie bezeichnen.Bei einer aktuellen Befragung im Januar 2019 unter BWL-Studenten an der Hochschule Pforzheim wurde die alte Frage neu formuliert, nur dass es diesmal um den Euro und nicht um die DM ging. Die Ergebnisse waren dabei fast vollkommen identisch mit dem, was vor über 50 Jahren herauskam: Die Mehrheit der Studierenden erwartete einen weiter stabilen Euro, aber zugleich einen leichten Anstieg der Inflation. Man könnte die Umfrage kurz und einfach so interpretieren: Der Euro scheint im Gefühl und im Bewusstsein der jungen Generation angekommen zu sein vergleichbar zur DM im Deutschland des Wirtschaftswunders. Aber dies steht im Widerspruch zu einer aktuellen Umfrage von Allensbach, nach der das Vertrauen der Deutschen in die Institutionen des Staates noch nie so gering war wie heute. Haben die Institutionen der Geldpolitik hier einen speziellen Status? Ein ReputationsgutVertrauen ist ein Gut, das ökonomisch interpretiert werden kann. Vertrauen senkt Kontrollkosten, erhöht die Investitionsbereitschaft und ermöglicht einen reibungslosen Zahlungsverkehr. Eine Währung ist deshalb deutlich mehr als nur eine Notenbankverfassung und eine ausgewiesene Inflationsrate. Im Währungsvertrauen spiegelt sich das allgemeine Vertrauen der Menschen in die Institutionen wider, die mit der Abwicklung des Zahlungsverkehrs betraut sind. Auch die Vertreter der Währung spielen eine wichtige Rolle. Die Europäische Zentralbank scheint hier zunehmend zu einer Institution zu werden, die im Ansehen der Menschen hoch angesiedelt ist. Die Währung ist, ähnlich wie das unabhängige Rechtssystem oder auch Qualitätsjournalismus, ein Reputationsgut, auf das die Menschen sich gerne und vertrauensvoll verlassen.In einem sicheren Land ist das Währungsvertrauen a priori höher als in Ländern, in denen auch das allgemeine Leben mit hohen Risiken verbunden ist. Argentinien oder Mexiko sind Länder, die immer aufs Neue von Währungskrisen geschüttelt werden, die im Kern nichts anderes als Vertrauenskrisen sind, die sich auch in anderen Bereichen zeigen. Aus Sicht der Psychologie des Geldes ist es deshalb angeraten, nicht nur auf die geldpolitischen Kernkompetenzen und Kennziffern zu achten, sondern auch das Image einer Währung und das Vertrauen in die politischen und institutionellen Grundlagen eines Landes zu stärken.Für die Länder der EU sind die Erkenntnisse der Psychologie des Geldes und ihre aktuelle Bestätigung in Umfragen von hoher Relevanz. Die gegenwärtigen Irritationen an den Finanzmärkten sind primär Vertrauensfragen. Der Aufbau von Vertrauen kann Jahre oder Jahrzehnte dauern, der Vertrauensverlust kann aber sehr schnell eintreten wie bei einem Bankenrun, der in einer verunsicherten Umgebung schon durch ein neues Gerücht entstehen kann. Wäre Italien derzeit nicht unter dem Schutzschirm einer starken und unabhängigen EZB, würde es dem Land vermutlich ähnlich gehen wie der Türkei, in der die Währung für die Attacken des Präsidenten auf die Notenbankunabhängigkeit der Zentralbank abgestraft wurde.Vor allem der Brexit wirft derzeit so viele Fragen auf, dass die Bank of England mehr oder minder hilflos zusehen muss, wie ihr Währungsvertrauen ins Wanken gerät, obwohl sie doch eigentlich in den letzten Jahren eine solide und erfolgreiche Politik verfolgt hat. Die Gefahr ist groß, dass ein harter Brexit auch das britische Pfund in Mitleidenschaft ziehen wird und das die englische Zentralbank zwar über Instrumente zur Beeinflussung des Geldwertvertrauens verfügt, aber eigentlich keine Möglichkeiten zur Verbesserung des Währungsvertrauens hat.Die Gefahr einer “spekulativen Attacke” könnte steigen, denn die Bank of England wird im Verlauf des Brexit den erweiterten Zentralbankrat verlassen, in dem auch die EU-Länder vertreten sind, die bisher den Euro noch nicht eingeführt haben. Bisher hat es noch keine spekulative Attacke gegen ein EU-Mitglied ohne Euro gegeben – zu stark und abschreckend war der Schutzschild der EZB. Je chaotischer und ungeordneter der Brexit jedoch verläuft, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen in England und die Investoren an den Finanzmärkten ihr Vertrauen in die englische Währung verlieren. Ähnlich wie die türkische Lira könnte dann auch das britische Pfund ungeschützt im Regen stehen. Niemand kann das ernsthaft wollen – auch nicht die Hardliner unter den Brexit-Befürwortern.Währungsvertrauen fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis vom Zusammenspiel erfolgreicher Institutionen und vertrauenswürdiger Persönlichkeiten. Ein Blick auf die gegenwärtige Debatte in England lässt beides vermissen.Prof. Dirk Wentzel ist seit 2003 Professor für VWL und Europäische Wirtschaftsbeziehungen in Pforzheim.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Prof. Dirk WentzelDer Aufbau von Vertrauen kann Jahre oder Jahrzehnte dauern, der Vertrauensverlust kann aber sehr schnell eintreten wie bei einem Bankenrun.—–