Gaslieferungen

Was Putins Gas-Dekret ändert – und was nicht

Russlands Präsident Putin hat mit einem Dekret zu Zahlungsmodalitäten für Gaslieferungen für neue Verunsicherung gesorgt. Die wichtigsten Erkenntnisse und Reaktionen.

Was Putins Gas-Dekret ändert – und was nicht

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Angesichts von Irritationen über die Zahlungsmodalitäten für Gas hat die russische Regierung beschwichtigt. Die neue Regelung sei nicht in Stein gemeißelt und könne wieder geändert werden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge und weiter: „Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen ist der Rubel die bevorzugte und am ehesten verlässliche Variante.“ Der Übergang zum Rubel bedeute auch nicht, dass bei Ausbleiben von Geld sofort die Lieferungen eingestellt würden. In dem entsprechenden Dekret ist von einer Übergangsfrist die Rede – nicht die einzige Passage, die für Unklarheit sorgte. Ein Überblick:

An wen ist das Dekret gerichtet?

Der Erlass von Russlands Präsident Wladimir Putin regelt, wie Importeure aus „unfreundlichen Staaten“ Gasrechnungen künftig zu bezahlen haben. Gemeint sind sämtliche Staaten, die Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs verhängt haben. Darunter fallen Deutschland und alle anderen EU-Mitglieder, aber auch eine Reihe weiterer Staaten. Die USA betrifft das Dekret allenfalls indirekt, weil sie die Einfuhr von Energie aus Russland gestoppt haben. Russlands Außenminister Sergej Lawrow rechtfertigte das Dekret laut der Nachrichtenagentur Reuters mit dem Argument, andernfalls habe die Gefahr bestanden, dass Geld im Zuge westlicher Sanktionen einfach beschlagnahmt würde. Nicht betroffen sind Länder wie die Türkei: Ankara bezieht zwar ebenfalls große Mengen Gas aus Russland, hat sich den Sanktionen aber nicht angeschlossen.

Was genau steht im Dekret?

Der Militärökonom Marcus Keupp von der ETH Zürich betont im Interview der Börsen-Zeitung Ziffer 6 des Ukas: Demnach müssen Gaskunden aus betroffenen Staaten künftig zwei Konten bei einer autorisierten russischen Geschäftsbank haben: ein Rubel-Konto und ein Fremdwährungskonto. Vorgesehen ist gewissermaßen ein mehrstufiger Prozess: Die Kunden überweisen das Geld in der im Gasliefervertrag angegebenen Währung, also in Euro oder Dollar. Die russische Bank konvertiert dann diese Fremdwährungen und schreibt die Erlöse in Rubel auf dem Sonderwährungskonto gut. „Und von den Rubel-Konten der europäischen Abnehmer“, ergänzt Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leuchtmann, „wird der Betrag dann an die russischen Gaslieferanten überwiesen“.

Ist Putins Drohung an westliche Importeure, Gasrechnungen einseitig umzustellen und eine Bezahlung in Rubel zu erzwingen, damit vom Tisch?

Jein. Das Dekret ist gewissermaßen ein Kniff: Europäische Kunden können weiterhin in Euro oder Dollar bezahlen und müssen sich nicht selbst Rubel beschaffen. Die erzwungene Währungsumstellung auf Rubel nimmt die russische Geschäftsbank vor. Gazprom und andere Exporteure können die Einnahmen somit in Rubel verbuchen. „Für die deutschen Unternehmen dürfte sich unter dem Strich nicht besonders viel ändern“, sagt Commerzbank-Devisenexperte Leuchtmann. Und auch für Gazprom sind die Auswirkungen überschaubar: Der Konzern musste auf Geheiß der Regierung schon bislang 80% seiner Deviseneinnahmen aus dem Gasexport in Rubel tauschen, um die Landeswährung zu stützen.

Wie verhält sich Russlands größter Gaslieferant?

Gazprom hat nach eigenen Angaben begonnen, ihre Kunden über die geforderte Umstellung der Endzahlungswährung auf Rubel zu informieren. Die Gasexporte würden nach russischen Regeln fortgesetzt, teilte der staatlich kontrollierte Konzern laut Reuters mit. Gazprom bleibe ein verantwortungsvoller Partner, und die Gaslieferungen seien weiterhin sicher. Gazprom lieferte nach eigenen Angaben am Freitag wie bestellt Gas durch die Ukraine nach Europa. Die bestellte Liefermenge europäischer Kunden belaufe sich auf 108,4 Mill. Kubikmeter nach 109,5 Mill. Kubikmeter tags zuvor, hieß es.

Unterlaufen Deutschland und Verbündete nun ihre eigenen Sanktionen, wie seit Putins Forderung vor einer Woche gemutmaßt wird?

Im technischen Sinne: Nein. Die EU-Staaten haben einige russische Großbanken von Finanzsanktionen weitgehend ausgenommen – allen voran die Gazprombank. Sie steht durch das Dekret im Fokus. Diese Ausnahmen hatten von vornherein den Zweck, die Abrechnung von Energielieferungen weiterhin zu ermöglichen. Eine andere Frage ist, ob Deutschland und andere Importeure mit der Einfuhr von Öl und Gas aus Russland Putins Kriegskasse finanzieren. An dieser politisch-moralischen Abwägung, die in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, ändern die neuen Zahlungsmodalitäten nichts.

Wie reagiert die Wirtschaft?

Zurückhaltend. Die Chefin des Energieverbands BDEW, Kerstin Andreae, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir teilen die Auffassung von Bundeskanzler Scholz, dass zunächst das Prozedere sehr klar beschrieben wird, bevor weitere Entscheidungen getroffen werden.“ Man werde sich eng abstimmen. Große Abnehmer russischen Gases wie der Energiekonzern Uniper hielten sich bedeckt. Man benötige „Zeit zur Übersetzung und Prüfung“, sagte ein Uniper-Sprecher zu Reuters. Der Verband Zukunft Gas und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft drangen auf die Einhaltung der Verträge.

Was sagt die Bundesregierung?

Das Bundeswirtschaftsministerium bekräftigte am Freitag, die privat geschlossenen Verträge mit Russland über Gaslieferungen gälten und die Rechnungen würden in Euro gezahlt. Die Gasversorgung sei Stand Donnerstag stabil, die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Zuvor hatten die Spitzen der Ampel-Koalition um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihre bisherige Linie betont: Lieferverträge seien einzuhalten – und somit eine Bezahlung in Euro oder Dollar. Scholz sagte, dies in einem Telefonat mit Putin vor der Veröffentlichung des Dekrets klargestellt zu haben. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte bei einem Auftritt mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire, die Gazprombank sei nicht sanktioniert, die Zentralbank hingegen schon. Russland könne seine verbliebenen Möglichkeiten nutzen, „bis weitere Sanktionspakete kommen“. Was nicht sanktionierte russische Banken bis dahin mit dem Geld machten, sei deren Sache.

Was meinen Analysten?

Commerzbank-Experte Leuchtmann sieht viel Aufregung um wenig. Er habe „nie so recht verstanden, warum um die Zahlungsmodalitäten für russische Gaslieferungen nach Europa so viel Aufheben gemacht wurde“ – und sieht sich nun bestätigt. Für ihn zementiert das Dekret den Status quo auf beiden Seiten: Moskau will die Energielieferungen nach Europa fortsetzen. Bundesregierung und EU-Kommission wollen unter allen Umständen eine Unterbrechung der Gaslieferungen verhindern. Sie haben eine Abhängigkeit von russischem Gas eingeräumt (siehe Grafik) – und dass es Jahre dauern wird, sich daraus zu lösen. Ulrich Wortberg von der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) gibt allerdings zu bedenken, dass Zweifel an Russlands Glaubwürdigkeit bleiben. „Ein komplettes Gas-Embargo, also ein Lieferstopp, ist meines Erachtens nach wie vor nicht auszuschließen.“ Analysten in Moskau gehen nach Darstellung der Nachrichtenagentur dpa-afx davon aus, dass das System erst im April und Mai voll wirkt.