Christopher Hebling

„Wir müssen es von grünen Elektronen zu grünen Molekülen schaffen“

Fraunhofer-Experte Christopher Hebling lobt im Interview die nationale Wasserstoffstrategie, mahnt aber höheres Tempo bei der Umsetzung ein. „Wenn wir das nicht vermasseln wollen, muss es schnell gehen“, sagt Hebling.

„Wir müssen es von grünen Elektronen zu grünen Molekülen schaffen“

Stefan Paravicini.

Herr Professor Hebling, auf dem Weg zur Klimaneutralität scheint sich grüner Wasserstoff vom Energieträger zum Hoffnungsträger gewandelt zu haben. Kann die Technologie diese Rolle ausfüllen?

Ja, es ist heute klar, dass es eine wichtige Rolle für Wasserstoff gibt. Daran gibt es keine Zweifel mehr. Das Rückgrat der künftigen Energieversorgung ist Grünstrom, aber von den 2500 Terawattstunden (TWh) Verbrauch an Primärenergie in Deutschland entfallen auf den Strom heute etwa 550 TWh. Das wird gerne unter den Tisch gekehrt. Über drei Viertel der Energiedienstleistung basiert auf molekularen Energieträgern. Bei der Mobilität dominiert Öl, für Heizung und Wärme kommt vornehmlich Gas zum Einsatz und die Hochtemperaturprozesse in der Industrie laufen mit Kohle. Natürlich muss man die erneuerbaren Energien ausbauen. Aber die große Frage ist, wie wir die Sektoren defossilisieren, die vornehmlich auf molekulare Energieträger angewiesen sind.

Der Umbau der Stromerzeugung auf 100% Erneuerbare reicht nicht zum Erreichen der Klimaziele?

Auch wenn wir 100% Grünstrom haben, was wir alle wollen und eine tolle Sache ist, bleiben wir immer noch zu 80% auf molekulare Energieträger angewiesen. Das ist das große Thema, weil wir den Transfer von grünen Elektronen zu grünen Molekülen schaffen müssen. Vor allem für den Skalenhochlauf brauchen wir Zeit, denn die Bedarfe sind riesig. Allein die Stahlindustrie braucht rund zwei Millionen Tonnen Wasserstoff, um von der Kohle wegzukommen. Und sie braucht ihn schnell, sonst werden die CO2-Abgaben die Margen auffressen und wir schicken eine ganze Industrie ins Ausland.

Was taugt die im Sommer 2020 verabschiedete Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?

Grundsätzlich kann man sagen, das ist ein großer Wurf und eine gute Strategie. Der Fokus liegt ganz klar auf grünem Wasserstoff. Darüber kann man diskutieren. Ich finde aber gut, dass die Regierung klar sagt, wo der Fokus der Förderprogramme liegt, ohne andere Technologien auszuschließen. Da ist man in anderen Ländern weniger zimperlich, das ist also keine Selbstverständlichkeit. Die Strategie legt den Fokus auf die industrieskalige Wasserstoffproduktion bis 2030 und das ist der richtige Ansatz. Die Ziele können alle unterschreiben und auch die 9 Mrd. Euro sind der richtige Startwert für die nächsten drei Jahre. Denn wenn es darum geht, die nötige Infrastruktur aufzubauen, ist das wirklich ein Projekt nationaler Größenordnung.

Was kann man nach einem Jahr über die Umsetzung sagen?

Die kann man weder den Ländern noch der Industrie überlassen, da gibt es zu viele Partikularinteressen. Man muss das Thema europäisch denken, deshalb erhält Rotterdam jetzt eine besondere Bedeutung, wenn der Hafen für Importe von Wasserstoff und Ammoniakmethanol umgebaut wird, um damit Europa zu versorgen. Dafür brauchen wir Pipelines, das ist ein ganz zentrales Thema. Und dann geht es um die Umsetzung von europäischem Recht in nationales Recht, etwa bei der Anerkennung von Wasserstoff in den Biokraftstoffquoten. Da merkt man schnell, was ernst gemeint ist und was nur Prosa ist. Da muss die nächste Bundesregierung viel konsequenter sein, um Wasserstoff auf die Überholspur zu bringen. Wir haben ein bestimmtes Zeitbudget. Wenn wir das nicht vermasseln wollen, muss es schnell gehen.

Wo sollte grüner Wasserstoff als Erstes zum Einsatz kommen?

Was die Anwendung betrifft, muss der Fokus auf den Sektoren Industrie und Verkehr liegen. Besonders die Stahlindustrie übt erheblichen Druck aus, dass grüner Wasserstoff als Erstes zu ihrer Defossilisierung beiträgt. Das Argument ist nicht falsch, denn wir haben nicht viele Stahlwerke und können an fünf Standorten vergleichsweise schnell signifikante CO2-Einsparungen realisieren. Die Stahlindustrie trägt derzeit 7% zu den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland bei.

Welche Rolle kann grüner Wasserstoff im Verkehrssektor spielen?

Der Transportsektor hat seit 1990 nichts zu den CO2-Zielen beigetragen. Mit der Verschärfung der Klimaziele müssen bis 2030 rund 60% der Emissionen im Verkehr eingespart werden. Das ist beinahe illusorisch, deshalb muss es jetzt dramatisch schnell gehen. Die am niedrigsten hängende Frucht ist der Schwerlastverkehr. Deswegen ist in der Diskussion ein Shift zu erkennen weg vom Pkw hin zum Lkw. Aber wir brauchen den Wasserstoff auch in der Individualmobilität. Das wäre auch viel leichter einzuführen. Man muss nur die Tankstellen mit einer Wasserstoffinfrastruktur nachrüsten und ist eigentlich schon durch.

Elektromobilität ist nicht die Antwort für den Individualverkehr?

Je größer das Fahrzeug und je größer die Reichweite sein soll, umso eher geht das nur mit einem Energieträger, den man tankt. Bei Batterien ist Reichweite immer 1:1 mit dem Volumen korreliert. Mit einer Brennstoffzelle entkoppelt man wie mit einem klassischen Motor die Leistungseinheit – also die Brennstoffzelle als Stromerzeuger – und den Tank, den man beliebig dimensionieren kann. Das ist der große Vorteil, abgesehen davon, dass man innerhalb von Minuten volltanken kann. Bei Lkw ist deshalb völlig klar, dass die Hauptlinie wasserstoffbetrieben sein wird, weil der Gewichtnachteil von Batterien in der Oberklasse bis 40 Tonnen nicht darstellbar ist, zumal man sich auch die lange Ladezeit nicht leisten kann. Die kleine urbane Mobilität kann man wunderbar mit Batterien abdecken. Aber schon Flottenfahrzeuge, die eine große Reichweite benötigen, brauchen Wasserstoff. Da gibt es eigentlich keine objektiven Zweifel.

Wie sehen Sie die Zukunft des Verbrennungsmotors?

Aus meiner Sicht wird es noch viel länger Verbrennungsmotoren geben, als jetzt diskutiert wird, weil man sie einfach braucht. Der Verbrennungsmotor ist auch nicht das Problem, sondern der Kraftstoff. An Standorten mit viel Erneuerbaren können wir mit grünem Wasserstoff Otto-Kraftstoffe oder Dieselkraftstoffe synthetisieren. Das sind fantastische Kraftstoffe. Die emittieren keinen Feinstaub und in der Abgaskatalyse kann man sich ganz auf den Stickstoff konzentrieren.

Die Grünen wollen das Ziel für die Kapazität zur Wasserstoffelektrolyse verdoppeln. Reicht das?

Die Forderung nach 10 Gigawatt ist richtig. Die Bedarfe sind riesig. Bis 2030 sind es allerdings nur noch achteinhalb Jahre und sowohl die geplanten 5 als auch 10 Gigawatt Elektrolyseleistung sind nur erreichbar, wenn wir schon in diesem Jahr einen Markthochlauf von mehreren 100 Megawatt haben. Davon ist aber noch nichts zu sehen, im Moment sind wir immer noch im Bereich von 10, 20 oder 50 Megawatt unterwegs.

Braucht es die Grünen in der nächsten Regierung, um das richtige Tempo anzuschlagen?

Ich habe eine andere politische Heimat, muss aber anerkennen, dass die FDP mit ihrer Technologieoffenheit hier die besseren Akzente setzt. Technologieoffenheit ist zwar häufig nur eine Verhinderungsfloskel, damit nicht zu schnell zu grün gedacht wird. Aber die Grünen fahren auf der Schiene „all electric“, und finden zum Beispiel, dass Autos nicht mit Wasserstoff fahren dürfen. Da bin ich für eine offenere Politik, wie sie zum Beispiel Japan mit dem Ziel der Hydrogen Society verfolgt.

Japan war das erste Land mit einer Wasserstoffstrategie, mittlerweile sind es fast drei Dutzend. Welche Länder stechen heraus?

Besonders ambitioniert ist Australien, die haben auch früh angefangen. Japan hat mittlerweile schon eine Aktualisierung gemacht. Da ist die Industriepolitik sehr eng abgestimmt mit den großen Konzernen und deshalb sehr schnell. Das Gleiche kann man auch für Südkorea sagen. Das sind sicher Strategien, die man hervorheben kann.

Deutschland wird einen Großteil des hier benötigten grünen Wasserstoffs importieren müssen. Welche Rolle können wir in der Wasserstoffwirtschaft spielen?

Wir importieren auch heute rund 80% unserer Energieträger. Energieautarkie ist Quatsch, das kriegen wir in Deutschland nicht hin. In Europa schon eher, da kann man sich schon ein bisschen mehr Mühe geben, indem man etwa die iberische Halbinsel als Powerhaus etabliert und die Windressourcen der Nordsee noch stärker nutzt. Aber es spricht auch nichts dagegen, das zu importieren. Saudi-Arabien plant, in den nächsten Jahrzehnten 700 Mrd. Euro in die Wasserstofftechnologie zu stecken. Die ersten Schiffe werden 2025 nach Rotterdam fahren. Es gibt sehr viel Bewegung, was die internationalen Handelsströme von grünen Molekülen betrifft. Da müssen wir uns keine Sorgen machen. Deutschland kann hier als Technologieentwickler eine wichtige Rolle spielen.

Das Interview führte