EU-Konjunkturprognose

Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet

Nach dem Einbruch infolge der Pandemie verzeichnet Europas Wirtschaft nach Einschätzung der EU-Kommission 2021 „das schnellste Wachstum seit Jahrzehnten“. Die Behörde hob ihre Prognosen noch einmal an.

Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet

ahe/ms Brüssel/Frankfurt

Die EU-Kommission­ rechnet damit, dass sich Europas Wirtschaft schneller als zunächst angenommen erholt und dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowohl in der EU als auch im Euroraum schon im vierten Quartal des Jahres wieder zum Vorkrisenniveau zurückfindet. Im Euroraum gelingt dies damit ein Quartal früher als noch im Mai erwartet. „Die europäische Wirtschaft erlebt ein starkes Comeback“, erklärte EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis.

Konkret erwartet die Brüsseler Behörde nun ein BIP-Wachstum sowohl für die EU als auch für den Euroraum von 4,8% in diesem und 4,5% im kommenden Jahr. Für 2021 sind dies im Euroraum 0,5 Prozentpunkte mehr als bislang prognostiziert, für 2022 erhöhen sich die Erwartungen um 0,1 Prozentpunkte. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte vor der Presse in Brüssel: „Die Wirtschaft der EU dürfte in diesem Jahr ihr schnellstes Wachstum seit Jahrzehnten verzeichnen.“

Begründet wird der zunehmende Optimismus mit den Erfolgen beim Kampf gegen die Pandemie und den damit zusammenhängenden schnelleren Öffnungsschritten. Der Handel sei recht stabil geblieben, und auch die Haushalte und Unternehmen hätten sich bei der Anpassung an das Leben in der Coronakrise flexibler gezeigt als erwartet, hieß es.

Die Öffnungsschritte machen sich laut Kommission insbesondere in der Dienstleistungsbranche positiv be­merkbar. Gentiloni verwies auf ein starkes Anziehen des privaten Konsums und auf Anzeichen für eine Wiederbelebung des Tourismus innerhalb der EU. „Privater Verbrauch und Investitionen werden sich wohl als die wichtigsten Wachstumsmotoren erweisen“, hieß es.

Weiter auch hohe Risiken

Gegenteilig wirkten sich die vorübergehende Knappheit an Baukomponenten und die steigenden Kosten in Teilen des verarbeitenden Gewerbes aus, wie aus der Prognose weiter hervorgeht.

Die EU-Kommission warnte zugleich davor, dass die Prognose weiterhin mit „erheblichen Risiken“ verbunden sei – vor allem in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie. „Die Verbreitung der Delta-Variante ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir die Pandemie noch nicht hinter uns gelassen haben“, stellte Gentiloni klar.

Im laufenden Jahr scheinen allerdings dennoch alle großen Euro-Länder von der positiven Entwicklung zu profitieren – auch Deutschland. Für die deutsche Wirtschaft prognostiziert die EU-Kommission nun einen BIP-Anstieg von 3,6 (bisher: 3,4)% in diesem und 4,6 (4,1)% im nächsten Jahr. Die Wachstumserwartung 2021 für Italien wird auf 5,0 (4,2)%, für Frankreich auf 6,0 (5,7)% und für Spanien sogar auf 6,2 (5,9)% angehoben.

Die Brüsseler Behörde korrigierte zugleich allerdings auch ihre bisherige Inflationsprognose für dieses und das nächste Jahr nach oben. Grund hierfür sind steigende Energie- und Rohstoffpreise, Produktionsengpässe aufgrund von Kapazitätsproblemen und die Knappheit bei einigen Baukomponenten und Rohstoffen. Für den Euroraum wird nun für 2021 eine Inflation von 1,9% vorhergesagt, was 0,2 Prozentpunkte mehr sind als bisher prognostiziert. 2022 dürfte sich diese Inflationsrate dann wieder auf 1,4% abschwächen – 0,1% mehr als bislang.

Die erhöhte Wachstumsprognose und die Inflationssorgen dürften auch die Debatte über die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) befeuern – auch innerhalb der Notenbank. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte unlängst gesagt, dass sie noch keinen stabilen konjunkturellen Aufschwung in der Eurozone nach dem Corona-Einbruch sieht.

Debatte in der EZB

Die aktuelle Ausbreitung der Delta-Variante auch in Europa und die Sorge um neue Corona-Beschränkungen dürften sie und viele andere Euro-Notenbanker darin bestärken, vorsichtig zu bleiben und am aktuellen Kurs festzuhalten. Den starken Inflationsanstieg bewertet die EZB als temporär, und viele Notenbanker beschwichtigen immer wieder. Allerdings hat die Diskussion auch im EZB-Rat zuletzt Fahrt aufgenommen. Die Hardliner im Rat wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann mahnen wieder verstärkt, nicht unnötig lange an der sehr expansiven Geldpolitik festzuhalten. Sie warnen auch davor, die Inflationsrisiken komplett zu unterschätzen.