Wirtschaft fehlt Langfristperspektive

Kritik an mangelnder Planungssicherheit nach Coronabeschlüssen - Commerzbank befürchtet Rezession

Wirtschaft fehlt Langfristperspektive

Als die Vertreter von Bund und Länder vor einigen Tagen neue Beschlüsse zum Umgang mit der Coronakrise für diese Woche ankündigten, stellten sie der Wirtschaft größtmögliche Planungssicherheit in Aussicht. Genau daran mangelt es den Beschlüssen vom Mittwochabend, bemängeln BDI und Co. sp Berlin – Die deutsche Wirtschaft hat kritisch auf die am Mittwochabend von Bund und Länder beschlossene Verlängerung des Teil-Lockdowns mit zusätzlichen Verschärfungen insbesondere für den Einzelhandel reagiert. “Die Luft wird im Winter für immer mehr Unternehmer dünner”, fasste Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) die Situation vieler Betriebe zusammen. Der BDI und andere Spitzenverbände bemängeln vor allem das Fehlen einer langfristigen Perspektive für mehr Planungssicherheit, die Bund und Länder nach ihren Gesprächen in der vergangenen Woche noch in Aussicht gestellt hatten. Die jetzt vorgestellten Maßnahmen böten zwar kurzfristige Orientierung, aber keinen ausreichenden Planungshorizont, monierte Kempf.Nach Einschätzung von Ökonomen dürfte der verschärfte Corona-Kurs die deutsche Wirtschaft im vierten Quartal wieder schrumpfen lassen. “Wir rechnen mit einem Minus von 1 %”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer Reuters mit Blick auf das vierte Quartal. Die Bundesregierung stimmte Bürger und Unternehmen derweil auf weitere Einschränkungen im neuen Jahr ein. Die Pandemie “wird uns auch den Januar, Februar und März begleiten und gegebenenfalls auch Beschränkungsmaßnahmen, wenn unser individuelles Verhalten nicht ausreicht”, mahnte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Die Commerzbank erwartet daher eine technische Rezession im Winterhalbjahr – also zwei Negativquartale in Folge. Großflächige Gefahr”Die schwersten Gefahren für die ökonomische Gesundung im kommenden Jahr liegen in großflächigen Betriebsschließungen”, sagte Kempf. Auch der Einzelhandel befürchtet wegen der noch einmal verschärften Bedingungen für das Weihnachtsgeschäft einen Kahlschlag und drohte indirekt mit Klagen gegen die am Mittwoch beschlossenen Regeln. HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagte, es gebe keinen sachlichen Grund, ab 800 Quadratmeter Verkaufsfläche weniger Kunden als bisher zuzulassen. Er verwies auf Hygienekonzepte, die sich in kleineren und größeren Läden bewährt hätten. Die Regelung stehe juristisch auf unsicherem Boden. Im ersten Lockdown im Frühjahr hätten zunächst nur kleinere Läden wieder öffnen dürfen, was Gerichte aber schnell infrage gestellt hätten.Unternehmen, Selbständige und Vereine, die von dem verlängerten Teil-Lockdown besonders betroffen sind, sollen wie schon für den November Hilfen des Bundes erhalten. Anträge für die November-Soforthilfe können seit Mittwoch gestellt werden. Dafür stehen 15 Mrd. Euro zur Verfügung. Der Dezember dürfte mit bis zu 20 Mrd. Euro zu Buche schlagen, weil die Umsatzausfälle im Weihnachtsgeschäft für viele betroffene Branchen besonders hoch sind. “Man darf sich keine Illusionen machen: Ein Lockdown kostet viel Geld”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Darüber hinaus gefährde er zahlreiche wirtschaftliche Existenzen. Die Politik habe es versäumt, ausreichend Alternativen zum “Dichtmachen” zu entwickeln, kritisierte der Ökonom. Andere Experten erwarten ebenfalls einen Konjunkturdämpfer, halten eine Rezession aber nicht für eine ausgemachte Sache. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung traut der deutschen Wirtschaft im vierten Quartal “mit etwas Glück” ein leichtes Plus zu.