Neuverschuldung kommt in Bewegung
Britische Neuverschuldung kommt in Bewegung
Immer mehr Insolvenzen, steigende Energiepreise und Streikdrohungen machen Labour zu schaffen
hip London
Ineffizienz in der Verwaltung, großzügige Sozialleistungen und hohe Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst haben ihren Preis: Die britische Neuverschuldung hat im Juli rund den doppelten Wert dessen erreicht, was Volkswirte im Schnitt auf der Rechnung hatten. Das dürfte den finanziellen Handlungsspielraum der Labour-Regierung, die am 4. Juli ins Amt gewählt wurde, weiter einschränken.
Wie das Statistikamt ONS mitteilte, lag die öffentliche Neuverschuldung im vergangenen Monat bei 3,1 Mrd. Pfund. Es war der höchste Wert in einem Juli seit dem Pandemiejahr 2021. Die von Reuters befragten Ökonomen hatten im Schnitt 1,5 Mrd. Pfund angesetzt. Die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility (OBR) waren noch optimistischer und hatten lediglich 0,1 Mrd. Pfund erwartet. Der Schuldenberg erreicht mittlerweile 99,4% des Bruttoinlandsprodukts.
„Verheerendes Erbe“
Finanzstaatssekretär Darren Jones wertete die Daten als weiteren „Beleg für das verheerende Erbe, das uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Wir werden die harten Entscheidungen treffen, die nötig sind, um die Fundamente unserer Volkswirtschaft zu sanieren.“
Der „Financial Times“ zufolge könnte dazu eine um einen Prozentpunkt über die Teuerungsrate hinausgehende Erhöhung der Sozialmieten in den kommenden Jahren gehören. Wie das Blatt unter Berufung auf Insider berichtet, will Schatzkanzlerin Rachel Reeves eine entsprechende Berechnungsformel in den Haushaltsentwurf packen, den sie im Herbst vorstellen wird. Sie wolle auf diese Weise den sozialen Wohnungsbau voranbringen.
Steuererhöhungen im Anflug
Reeves hatte bereits angekündigt, den Heizkostenzuschuss für Rentner nur noch sozial Schwachen zu gewähren. Steuererhöhungen dürften folgen. Nachdem Labour im Wahlkampf versprochen hatte, Einkommenssteuer und Sozialversicherungsbeiträge unangetastet zu lassen, rechnen Volkswirte mit einer Erhöhung von Erbschafts- und Kapitalertragssteuer.
Sieht man sich die jüngsten Daten zur Neuverschuldung genauer an, entspricht das Bild vom schrecklichen Erbe der Tories, das es nun aufzuarbeiten gelte, nicht ganz der Wahrheit. Im vergangenen Monat sind die Steuereinnahmen stark gestiegen, der Aufwand für den Schuldendienst dagegen gesunken. Das Problem liegt eher auf der Ausgabenseite. Die hohen Tarifabschlüsse für Ärzte der staatlichen Krankenhäuser und den öffentlichen Dienst dürften es noch verschärfen.
Insolvenzwelle rollt aus
Zwar bewegt sich die Zahl der Firmeninsolvenzen immer noch über dem Niveau, das während der Pandemie und in den Jahren nach der Finanzkrise zu beobachten war. Im Juli verabschiedeten sich 2.191 Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit. Das waren 16% mehr als im Vorjahresmonat. Doch ging die Zahl der Pleiten im Vergleich zum Juni zurück. Die Insolvenzwelle rollt offenbar aus.
Die britische Wirtschaft ist dem ONS zufolge im zweiten Quartal um 0,6% gewachsen. Im Auftaktquartal expandierte sie bereits um 0,7%. Das ist zwar kein Boom, deutet aber darauf hin, dass die Zeit der Stagnation vorüber sein könnte. Die Konsumzurückhaltung der privaten Haushalte, die ihr Geld weiter zusammenhalten, wirkt dämpfend.
Höhere Obergrenze
Steigende Energiepreise könnten sie noch vorsichtiger machen. Der Regulierer Ofgem wird dem Marktforscher Cornwall Insight zufolge die Obergrenze für Energierechnungen privater Haushalte um 9% anheben. Bereits im Juli war die Inflation von 2,0% auf 2,2% gestiegen.