Jahresgutachten

Wirtschaftsweise empfehlen, mehr Erwerbsanreize zu setzen

Das ungenutzte Talent armutsgefährdeter Personen kann sich negativ auf Innovationen und Wachstum auswirken. Der Sachverständigenrat empfiehlt ein Bündel an Maßnahmen für mehr Erwerbstätigkeit und zielgerichtete Entlastungen.

Wirtschaftsweise empfehlen, mehr Erwerbsanreize zu setzen

Wirtschaftsweise empfehlen, mehr Erwerbsanreize zu setzen

Armutsgefährdung hemmt Innovation und Wachstum – Kinderbetreuung ausbauen – Pauschales Klimageld angeregt

ba Frankfurt

Der Sachverständigenrat Wirtschaft empfiehlt eine Reihe an Maßnahmen, um die Armutsgefährdung hierzulande zu mindern. Denn gesamtwirtschaftlich gesehen kann sich das ungenutzte Talent armutsgefährdeter Personen negativ auf Innovationen und Wachstum auswirken. Bei den Betroffenen wiederum verursacht Armutsgefährdung individuelle Probleme etwa in Bereichen wie Bildung, Erwerbslosigkeit und Gesundheit.

Denn auch wenn die Einkommensungleichheit in Deutschland seit dem Jahr 2005 kaum noch gestiegen ist, so hat die Armutsgefährdungsquote im Trend weiter zugelegt. Die neuesten Daten von 2019 zeigen, dass etwa jede sechste Person armutsgefährdet war. Dazu gehören vor allem Alleinerziehende, Arbeitslose, Kinder und Jugendliche sowie Personen mit Migrationshintergrund. Reformen sollten besonders von Armutsgefährdung betroffene Personengruppen gezielt in den Blick nehmen, mahnt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten.

Erwerbstätigkeit erhöhen

Um die individuelle Armutsgefährdung zu reduzieren, empfehlen die sogenannten Wirtschaftsweisen, die Möglichkeiten und Anreize zur Aufnahme und Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu verbessern. So erhöhe sich nicht nur die gesamtwirtschaftliche Erwerbsbeteiligung, sondern es sinke zugleich der staatliche Leistungsbezug. Strukturelle Verbesserungen im Bildungssystem würden längerfristig die
Chancengleichheit armutsgefährdeter Kindern erhöhen. Sie hätten so bessere Möglichkeiten, in der Erwerbsphase gut bezahlte Arbeitsplätze zu erhalten.

Bündelung ist das Zauberwort

Dabei gebe es verschiedene Reformoptionen im Steuer-Transfer-System, um die Erwerbsanreize zu stärken, ohne die öffentlichen Haushalte zu belasten, schreibt der Sachverständigenrat. So könnte etwa die Bündelung von Leistungen in der Grundsicherung mit einer im Vergleich zum Status quo geringeren Transferentzugsrate die Erwerbsanreize für Personen mit niedrigem Einkommen deutlich erhöhen. Ein erster Schritt in Richtung einer Zusammenlegung von Transferleistungen ist die geplante Kindergrundsicherung. Diese würde auch Stigma-Effekten entgegenwirken und die Armutsgefährdung speziell von Kindern und Jugendlichen reduzieren.

Mehr Kinderbetreuung ist ein Muss

„Wenn verschiedene Leistungen in der Grundsicherung gebündelt werden, kann dies den Bezug vereinfachen und die Inanspruchnahme erhöhen. Eine niedrigere Transferentzugsrate würde es attraktiver machen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auszudehnen“, sagt Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. „Dies könnte vielen Menschen aus der Armutsgefährdung heraus helfen." Dafür müssten aber die Voraussetzungen geschaffen werden, eine Erwerbstätigkeit überhaupt auszuüben – "ein Ausbau der immer noch lückenhaften Kinderbetreuung ist unverzichtbar“, ergänzt Truger.

Für eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen könnte eine Reform des Ehegattensplittings sorgen, indem die Anreize der Zweitverdienenden gestärkt würden. Zudem sollte der Zugang zu Weiterbildungs- und Gesundheitsangeboten gefördert werden. Mit mehr Weiterbildung könnten Arbeitslöhne steigen, nach einer Entlassung wäre die Wahrscheinlichkeit der Wiederbeschäftigung höher und der Wechsel aus vom Strukturwandel betroffenen Arbeitsstellen wäre leichter, erwartet der Sachverständigenrat. Zudem können höhere Hinzuverdienstmöglichkeiten die Armutsgefährdungsquote senken.

Klimageld als erster Schritt

Das Steuer-Transfer-System wiederum ist – wie die jüngsten Krisen gezeigt haben – wenig geeignet, Haushalte kurzfristig zielgenau zu entlasten. Im Gegensatz zu den notgedrungen improvisierten Entlastungen erreichten Direktzahlungen im Idealfall alle Bürger nach einheitlichen Kriterien und könnten so gestaltet werden, dass die Knappheitssignale der Preise nicht verzerrt werden. Als vereinfachten und ersten Schritt empfehlen die Wirtschaftsweisen, ein pauschales Klimageld zur Kompensation der Belastungen durch den CO2-Preis umzusetzen. So würden untere Einkommensgruppen relativ stärker entlastet und voraussichtlich die Akzeptanz der Klimapolitik erhöht. Die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für das Direktzahlungsinstrument müssten so schnell wie möglich geschafft werden.

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