Wo Europa zusammenwächst: Der Fehmarnbelt-Tunnel
Von Carsten Steevens, HamburgIm September 2008 unterzeichneten Deutschland und Dänemark den Staatsvertrag zum Bau der festen Fehmarnbelt-Querung. Gut zwölf Jahre später, nach zahllosen Protesten gegen das Projekt und Klagen der Wirtschaft über allzu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland, geht der kombinierte Straßen- und Eisenbahntunnel, der die schleswig-holsteinische Insel Fehmarn mit der dänischen Insel Lolland verbinden soll, in den Bau.Mit der Abweisung von Klagen zweier Umweltverbände, dreier Unternehmen – darunter die Reederei Scandlines als Betreiberin der Fährlinie zwischen Puttgarden (Fehmarn) und Rødby (Lolland) – sowie der Stadt Fehmarn gegen den vor knapp zwei Jahren vom Land Schleswig-Holstein erlassenen, 1 300 Seiten langen Planfeststellungsbeschluss machte das Bundesverwaltungsgericht Anfang November den Weg frei für den Bau des deutschen Tunnelteils. In Dänemark hatte das größte Bauprojekt Nordeuropas, das entlang der kürzesten Strecke eine Direktverbindung zwischen Skandinavien und Mitteleuropa schafft, bereits 2015 Baureife erlangt.Für die Fehmarnbelt-Querung, die die EU-Kommission zu den fünf wichtigsten grenzüberschreitenden Projekten des transeuropäischen Verkehrsnetzes zählt, ist gemäß Staatsvertrag Dänemark verantwortlich. Der rund 18 Kilometer lange Tunnel, für dessen Planung, Bau und Betrieb mit Femern A/S eine Projektgesellschaft besteht, soll 2029 fertiggestellt sein und die Reisezeit zwischen Hamburg und Kopenhagen von fünf auf unter drei Stunden verringern.Die schnellere Verbindung würde nicht nur den Personenverkehr erleichtern. Verglichen mit der heutigen Route über den Großen Belt sollen Güterzüge zwischen Hamburg und Skandinavien nach Eröffnung des Tunnels 160 Kilometer sparen können. Damit fördere das Projekt auch die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und trage, so die Beteiligten, dazu bei, die EU-Klimaziele zu erreichen.Vorteile durch den Tunnelbau versprechen sich neben der Logistik auch der Handel und der Tourismus. Für die Fehmarnbelt-Region wird die Ansiedlung neuer Unternehmen und Arbeitsplätze erwartet. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stelle “die Weichen dafür, die boomenden Regionen Kopenhagen-Malmö und Hamburg dichter zusammenrücken zu lassen”, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Die Handelskammer Hamburg, die das Urteil als gut “für die Wirtschaft in ganz Nordeuropa” bezeichnete, geht davon aus, dass mit der nun vorliegenden Rechtssicherheit das Projekt im Zeitplan umgesetzt werden kann.Kritiker des Tunnelbaus haben ihren Widerstand jedoch nicht aufgegeben. Die Reederei Scandlines etwa, die eine deutliche Herabstufung der aktuellen straßenseitigen Anbindung des Fährhafens Puttgarden zugunsten des staatlichen Tunnelkonkurrenten befürchtet, will die Pläne auf EU-Ebene anfechten.Die Reederei, die 2019 auf den Routen Puttgarden-Rødby und Rostock-Gedser 7,2 Millionen Passagiere, 1,7 Millionen Pkw und rund 700 000 Frachteinheiten transportierte, verweist auch auf eine Analyse der Denkfabrik Kraka Advisory zu den Folgen des Bauvorhabens für die Staatsfinanzen. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass Dänemark vor allem aufgrund viel zu optimistischer Verkehrsprognosen durch die Projektgesellschaft Femern, die seit 2002 nicht mehr wesentlich aktualisiert worden seien, mit Verlusten von bis zu 4,3 Mrd. Euro rechnen müsse. Wegen neuer Voraussetzungen sei auch davon auszugehen, dass die staatlich garantierten Kredite zur Finanzierung des Tunnels eine Rückzahlungsfrist von 50 Jahren überschreiten werden – die offizielle Prognose sieht derzeit 36 Jahre vor. Die wirtschaftlichen Grundlagen des Projekts seien nicht mehr solide, so die Berater.Der Tunnel, dessen Baubudget sich einschließlich Reserven von 1 Mrd. Euro auf über 7 Mrd. Euro beläuft, wird durch Dänemark bereitgestellt, über Staatsbürgschaften abgesichert und soll durch die künftigen Nutzungsgebühren refinanziert werden. Die EU-Kommission hat die öffentliche Finanzierung für den Tunnel zuletzt im März 2020 genehmigt. Die Kosten in Deutschland für die Hinterlandanbindung werden auf rund 3,5 Mrd. Euro geschätzt, wobei die Deutsche Bahn solche Annahmen des Bundesrechnungshofs im Herbst 2019 zurückwies.Nach dem EU-Ausstieg Großbritanniens könnte vom Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark das Signal ausgehen, dass Integration in Europa, die die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern stärkt und für Menschen spürbar ist, weiterhin möglich und auch sinnvoll ist. Für Schleswig-Holstein indes müsste ein anderes Infrastrukturprojekt noch wichtiger sein: der Weiterbau der Küstenautobahn A20 in Richtung Ruhrgebiet und Niederlande. Dieses Vorhaben verzögert sich seit Jahren. In dieser Woche warnten Umweltschützer des BUND vor einer Verdopplung der Kosten auf über 7 Mrd. Euro und forderten die Aufgabe der Ausbaupläne.