Christian Keller

„Zentralbanken versus Märkte“

Bei den letzten Sitzungen im Jahr 2022 haben die Zentralbanken noch einmal für einige Überraschungen gesorgt. An den Finanzmärkten schürte die harte Rhetorik Zins- und Rezessionssorgen – auch wenn es am Mittwoch bergauf ging. Im Interview ordnet Barclays-Chefökonom Christian Keller die Lage ein.

„Zentralbanken versus Märkte“

Mark Schrörs.

Herr Keller, gleich reihenweise haben Zen­tralbanken jetzt für Paukenschläge gesorgt – von der US-Notenbank Fed über die EZB bis zur Bank of Japan. Im Kern ging es immer um die Botschaft einer strafferen Geldpolitik als vor allem an den Märkten erwartet. Ist der Kurs angemessen angesichts der weiter zu hohen Inflation oder überziehen die Zentralbanken nun – nachdem sie zuvor die Inflation lange unterschätzt haben?

Die These, dass Zentralbanken von einem Extrem ins nächste stolpern, hat eine gewisse Anziehungskraft. Ich teile sie aber nicht. Es bleibt weiter ein Abwägen von Risiken. Die Zen­tralbanken haben weiter Grund, sich über die Dynamik in der Kerninflation Sorgen zu machen. Hier wollten sie ein Zeichen setzen, zumal die optimistische Stimmung am Markt den Bemühungen, durch Leitzinserhöhungen restriktiv auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu wirken, teilweise entgegenwirkt – vor allem in den USA. Je niedriger etwa die US-Staats­anleihezinsen oder je höher die Aktienkurse, desto weniger restriktiv sind die Finanzierungsbedingungen insgesamt. Hier wollten die Zentralbanken gegensteuern.

Die Hoffnung an den Märkten auf eine weniger aggressive Geldpolitik resultierte vor allem aus Signalen, dass die Inflation zumindest im Westen allmählich ihren Höhepunkt überschritten hat. Ist diese Hoffnung berechtigt oder unterschätzt sie die Inflationsgefahren?

Die Gesamtrate der Inflation fällt in den USA und hat wohl auch in Europa ihren Höhepunkt überschritten. Doch den Inflationsanstieg gestoppt zu haben, ist nur der erste Schritt. Die Herausforderung für die Zentralbanken ist es, die Inflation in absehbarer Zeit wieder auf 2% zu bringen. Sie haben berechtigte Sorgen, was eine mögliche Verstetigung von Inflationsraten signifikant über dem 2-Prozent-Ziel angeht. Die Märkte dagegen scheinen davon auszugehen, dass wir von hier an mehr oder weniger in eine Situation wie vor der Pandemie zurückgehen, mit niedriger Inflation und niedrigen Zinsen. Zentralbanken hingegen haben die Gefahr einer Situation wie in den 1970er-Jahren vor Augen, in der die Geldpolitik nicht konsequent genug agiert, die Inflationserwartungen außer Kontrolle geraten und die Geldpolitik dies dann später mit größeren Anstrengungen und schmerzhaften wirtschaftlichen Folgen wieder korrigieren muss. Da machen sie lieber den „Fehler“, vielleicht jetzt ein wenig zu aggressiv zu sein, als möglicherweise später erkennen zu müssen, dass sie den Fehler der 1970er-Jahre wiederholt haben.

Die Fed hat ihre Prognosen für die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) deutlich angehoben und deswegen einen Anstieg des US-Leitzinses auf mehr als 5% und dann länger hohe Zinsen avisiert. Teilen Sie diese Sicht?

Ja und Nein. Wir teilen die Einschätzung, dass der Leitzins auf mehr als 5% steigt. Wir sehen im März das obere Ende der Zinsspanne auf dem Höhepunkt von 5,25%. Wir teilen aber nicht unbedingt die Fed-Pro­gnosen zur Kerninflation. Da sind wir etwas optimistischer. Die derzeitigen Prognosen der Zentralbanken müssen die angekündigten Zinsschritte rechtfertigen. Wenn dann die Geldpolitik aber tatsächlich so aggressiv agiert wie angekündigt — und wir sehen das Risiko von Zinsschritten über die 5,25% hinaus — sollte das Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Nachfrage haben, was die Inflation weiter bremst.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat mehr Zinserhöhungen in Aussicht gestellt als zuletzt von den Märkten erwartet. Wie weit wird und muss die EZB gehen?

Nach der letzten EZB-Sitzung gehen wir von zwei weiteren Schritten um 50 Basispunkte auf 3% aus, deutlich mehr als die 2,5%, die zuvor erwartet waren. Der Markt scheint nun auch 3% einzupreisen, wobei auch da die Möglichkeit zusätzlicher Schritte nach oben besteht.

An den Finanzmärkten gibt es Zweifel am Inflationsbild und an den Aussagen der Fed und EZB, vielfach werden weiter niedrigere Zinsen als avisiert eingepreist. Droht da ein Clash zwischen Notenbanken und Marktteilnehmern – und was wären die Folgen?

Ja, wir haben nun tatsächlich eine Situation Zentralbanken versus Markt. Entgegen dem üblichen Ratschlag „Don’t fight the Fed!“ haben gerade die US-Märkte das Signal von Fed-Chef Jerome Powell größtenteils ignoriert. In diesem ‚Clash‘ wird letztlich die Datenlage entscheiden: jede neue Inflationszahl, Lohnrunde und Arbeitslosenzahl wird von nun an entscheidend sein.

Wenn Fed und EZB ihre Leitzinsen nun anheben wie avisiert – ist dann eine Rezession in den USA und Euroland und mithin in der Weltwirtschaft ausgemachte Sache? Braucht es eine Rezession, um die Inflationsraten zügig und dauerhaft wieder Richtung des 2-Prozent-Ziels zu bringen?

Auch wenn es brutal klingt, es ist schwer vorstellbar, wie die Inflation ohne Rezession wieder eingefangen werden soll. Gerade in den USA ist es ein überhitzter Arbeitsmarkt, der die Preise treibt. Um die Lohnspirale zu stoppen, müsste die Arbeitslosigkeit makroökonomisch betrachtet von derzeit nur 3,7% auf über 4% steigen. In Europa ist aufgrund der Energiekrise alles etwas komplizierter und der Arbeitsmarkt auch strukturell sehr verschieden von den USA. Wir prognostizieren in Europa eine von den hohen Energiepreisen verursachte Rezession. Je mehr die Energiekrise durch eine Verknappung von Angebot Preise nach oben treibt, desto mehr muss die Nachfrage sinken, um dies auszugleichen. Weltwirtschaftlich gesehen sollte eine schnellere Öffnung Chinas aufgrund einer gelockerten Covid-Politik eine glo­bale Rezession verhindern.

Am Dienstag hat nun auch noch die Bank of Japan die Märkte geschockt und überraschend die Zielspanne für die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen ausgeweitet – was Spekulationen über eine Abkehr von ihrer expansiven Geldpolitik auslöste. Schließt sich nun auch die Bank of Japan der globalen Zinswende an und was hieße das für die Finanzmärkte?

Die Gefahr einer nachhaltigen Inflation von mehr als 2% scheint in Japan nach Jahren von Deflationstendenzen weitaus geringer als andernorts. Der Schritt diese Woche war eher ein taktischer und technischer, um die Kon­trolle der Renditekurve zu erhalten. Für eine wirkliche Wende in der japanischen Geldpolitik kommt es auf die jährlich im Frühjahr stattfindenden Lohnverhandlungen an. Das wird dann auch für die internationalen Märkte relevant, angesichts der ho­hen Investitionen japanischer Institutionen außerhalb Japans auf der jahrzehntelangen Suche nach besseren Renditen. Dies könnte dann auch die US-Anleihen oder auch den französischen Staatsanleihenmarkt betreffen.

Der Kurs der Zentralbanken nährt bei manchem Beobachter Sorgen vor einem Crash an den Finanzmärkten. Für wie groß halten Sie diese Gefahr? Droht gar eine neue Weltfinanzkrise?

Wir haben dieses Jahr schon einiges an Korrekturen gesehen, gerade in den sehr zinssensiblen und spekulativeren Bereichen wie manchen Tech-Aktien und Kryptowerten. Aber bisher hat all dies keine systemische Gefahr, keine Finanzkrise ausgelöst. Es kann zu weiteren Turbulenzen und Verlusten kommen. Aber wir sehen hier eher ein Szenario anhaltender Volatilität und schlechter Erträge als das einer Weltfinanzkrise.

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