ZEW-Konjunkturerwartungen auf 21-Jahres-Hoch
ba Frankfurt
Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft hellen sich immer stärker auf. Sinkende Infektionszahlen, Impffortschritte und anstehende Lockerungen sorgen für steigende Konjunkturzuversicht unter Börsianern und Ökonomen. Gemessen an den ZEW-Konjunkturerwartungen ist der Optimismus im Mai so stark ausgeprägt wie zuletzt im Jahr 2000, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Allerdings droht die Materialknappheit, die Industrie und Bau derzeit bremst, die Inflation anzuheizen und potenziell das Wirtschaftswachstum zu dämpfen. Das Problem wird jedoch verbreitet als temporär gewertet und auch die Europäische Zentralbank (EZB) sieht noch keine Veranlassung, von der ultralockeren Geldpolitik abzurücken.
Die monatliche Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, dass sich die Konjunkturerwartungen im Mai überraschend deutlich aufgehellt haben: So stieg das entsprechende ZEW-Barometer um 13,7 auf 84,4 Punkte. Einen höheren Wert hatte das ZEW zuletzt im Februar 2000 gemessen. Nachdem das Barometer im April nach vier Anstiegen in Folge einen Rückschlag verzeichnet hatte, hatten Ökonomen nun einen Anstieg auf 72,0 Zähler erwartet. Auch die aktuelle Lage wurde besser als noch im Vormonat bewertet: Der Lageindikator liegt nun bei −40,1 Punkten, das sind 8,7 mehr als zuvor. Die Erwartung lag hier bei einem Wert von −41,6 Zähler. Der Blick der 188 befragten Analysten und institutionellen Anleger auf die Eurozone fällt ähnlich aus: Das Barometer der Konjunkturerwartungen stieg um 17,7 auf 84,0 Punkte, die Lagekomponente um 14,1 auf −51,4 Zähler.
Hoffen aufs dritte Quartal
„Das Bremsen der dritten Covid-19-Welle hat die Finanzmarktexpertinnen und Finanzmarktexperten noch optimistischer werden lassen“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach. Die Umfrageteilnehmer würden mit einem deutlichen Wirtschaftsaufschwung in den nächsten sechs Monaten rechnen. Es ist Konsens unter Ökonomen, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr kräftig wachsen wird – das größte Momentum wird dabei dem dritten Quartal zugesprochen. Dass das Statistische Bundesamt (Destatis) die Wachstumszahlen für das zweite Halbjahr 2020 nach oben korrigiert hat und der BIP-Einsturz im ersten Quartal 2021 mit 1,7% etwas schwächer als ursprünglich befürchtet ausgefallen war, ist bei zwei Instituten mit ein Argument zu Aufwärtsrevisionen. So hat die Deutsche Bank gestern die Wachstumsprognose für 2021 von 3,7% auf 4,0% erhöht. Die Commerzbank hat ihre Voraussage am Freitag von 3,5% auf ebenfalls 4,0% angehoben. Zum Vergleich: Die Bundesregierung erwartet ein Wachstum von 3,5%, während die Prognose der EU-Kommission noch bei 3,2% steht. Die Brüsseler Behörde legt am heutigen Mittwoch ihre neuen Wirtschaftsprognosen vor. Die neuen Projektionen der EZB-Volkswirte stehen zur Zinssitzung am 10. Juni an.
Für stetiges Wachstum – sowohl in Deutschland als auch im Euroraum – spricht zudem der aktuelle Frühindikator (CLI) der Industrieländerorganisation OECD. Und auch der ZEW-Umfrage zufolge hat sich der Konjunkturausblick für das Eurogebiet und die USA „erheblich verbessert“, wie Wambach betonte. Jörg Angelé, Senior Economist des Assetmanagers Bantleon, sieht den Höhepunkt des ZEW-Index in den USA allerdings überschritten. Er erwartet eine Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau. Die USA gelten derzeit mit China als die Zugpferde der sich erholenden Weltwirtschaft. Allerdings mehren sich die Stimmen, die vor einer Überhitzung der US-Konjunktur warnen – die US-Notenbank Fed sieht allerdings derzeit noch keinen Handlungsbedarf.
Sowohl die Fed als auch die EZB interpretieren die aktuellen Preissteigerungen derzeit als vorübergehend, wenn sie sich auch in den kommenden Monaten noch fortsetzen dürften (siehe Bericht auf dieser Seite). Die allermeisten der vom ZEW befragten Börsianer rechnen ebenfalls mit einer anziehenden Inflationsrate auf Sicht von sechs Monaten. Das entsprechende Barometer kletterte um 2,5 auf 77,6 Punkte.
Für Zuversicht spricht, dass sich der Anstieg bei eröffneten Regelinsolvenzverfahren im April nicht fortsetzte. Destatis berichtet auf Basis vorläufiger Daten ein Minus von 17% nach kräftigen Zuwächsen um 30% und 37% in den beiden Vormonaten. Die Zahl der beantragten Insolvenzen ging im Februar um 21,8% im Vorjahresvergleich zurück.