Zuspruch für Brüssels Chip-Offensive
rec Frankfurt
„Wichtiger Schritt“, „Meilenstein“, Auftakt einer „ehrgeizigen Aufholjagd“: Für ihre milliardenschwere Halbleiter-Offensive erhält die Europäische Kommission viel Zuspruch aus der Industrie und der Digitalwirtschaft. In den Applaus mischen sich aber auch Vorbehalte. So moniert der Verband der Elektroindustrie die „geplanten Markteingriffsmöglichkeiten“ der EU als unverhältnismäßig. Vereinzelte Kritik kommt auch aus dem EU-Parlament. Das Bundeswirtschaftsministerium begrüßt das Vorhaben.
Beihilferegeln aufgeweicht
Von dem am Dienstag vorgestellten Chip-Gesetz verspricht sich die EU-Kommission bis 2030 mehr als 15 Mrd. Euro an zusätzlichen öffentlichen und privaten Investitionen für die von Engpässen gebeutelte Halbleiterindustrie in der EU. In Summe mit bereits verplanten 30 Mrd. Euro durch existierende Programme sollen nach den Plänen der EU-Kommission knapp 45 Mrd. Euro für Forschung, Entwicklung und Ausbau der Chipproduktion zusammenkommen. Erklärtes Ziel von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist es, dass bis 2030 20% aller Halbleiter in der EU produziert werden. Der Anteil am Weltmarkt ist auf unter 10% abgebröckelt (siehe Grafik). Dieser müsste sich also mehr als verdoppeln – bei stark steigender Nachfrage.
Unternehmen sollen einerseits von Fördertöpfen profitieren. Dafür weicht die EU-Kommission ihre Beihilferegeln auf. Künftig könnten etwa Finanzierungslücken bei innovativen Chipfabriken mit bis zu 100 % Staatshilfe geschlossen werden, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Brüssel will darüber hinaus zig Milliarden Euro privates Kapital mobilisieren. So soll ein Chip-Fonds Start-ups Zugang zu Finanzierungen verschaffen. Zudem will die EU-Kommission ein Gremium zur Überwachung der Lieferketten einrichten. Es soll Informationen von Unternehmen sammeln, um Engpässe zu erkennen und gegensteuern zu können.
Daran stößt sich der Zentralverband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI). EU-Behörden könnten, so die Befürchtung, einzelne Hersteller in Krisen verpflichten, spezifische Aufträge zu priorisieren. „Das untergräbt die grundlegende Wirtschaftsordnung und verkennt neben rechtlichen Bedenken zudem, dass sich die Halbleiterproduktion technisch nicht mal eben umstellen lässt“, sagte ZVEI-Chef Wolfgang Weber. Insgesamt hält er das Chip-Gesetz indes für „zukunftsweisend“. Auch andere Verbände signalisieren Zustimmung. Iris Plöger, Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands BDI, spricht von einem „wichtigen Schritt, Europa als globalen Player in der Chipfertigung zu stärken“. ZVEI und BDI stoßen sich aber an einem wesentlichen Detail: Brüssel will in erster Linie sehr kleine Halbleiter fördern. Hier ist der Rückstand europäischer Hersteller besonders groß.
Nun starte „eine ehrgeizige Aufholjagd“, sagt Thilo Brodtmann vom Maschinenbauverband VDMA. Einen „wichtigen Meilenstein, um die Halbleiterindustrie in Europa zu stärken“ und Lieferketten zu diversifizieren, sieht der Chef des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg. Dieses Ziel sei zwar legitim, heißt es bei der Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (Cep). „Mit einer Beschränkung von Wettbewerb und Freihandel begibt sich Brüssel aber auf einen gefährlichen industriepolitischen Weg, indem die EU-Kommission selbst gegen grundlegende EU-Prinzipien verstößt“, sagte Cep-Vorstand Henning Vöpel.
Mit dem Entwurf für die Verordnung zum „European Chip Act“ müssen sich nun das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten befassen. Während aus den Reihen der Unionsparteien im EU-Parlament gemischte Töne kamen, signalisierte die parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Franziska Brantner Unterstützung: „Um unabhängiger von globalen Lieferketten zu werden und die technologische Souveränität Europas zu stärken, muss Europas Anteil an der weltweiten Produktion von Chips deutlich steigen.“