Unterm Strich

Abzocke à la Rocket Internet

Damit die Abzocke à la Rocket Internet nicht Schule macht, sollte der Gesetzgeber beim Schutz von Aktionärsrechten im Fall von Delistings nachbessern.

Abzocke à la Rocket Internet

Auch wenn das neue Jahr Investoren schon mit Indexrekorden begrüßt hat, können die nächsten Monate den Aktionären in Deutschland nicht nur wegen der Omikron-Risiken und der Inflationsaussichten die Stimmung vermiesen. Denn Ende des Monats beginnt die Hauptversammlungssaison, und die wird wie in den beiden zurückliegenden Jahren weitgehend virtuell stattfinden. Über die Fallstricke für Aktionäre und dringend nötige rechtliche Nachbesserungen für den Streubesitz wird an dieser Stelle demnächst noch geschrieben werden.

Heute dagegen soll es um eine außerordentliche Hauptversammlung gehen, die den krönenden Abschluss einer Kapitalmarktschweinerei darstellt, wie man sie bislang nur aus Neuer-Markt-Zeiten kannte. Am 31. Januar steht die ao. HV der Rocket Internet SE an, bei der es um eine Kapitalherabsetzung und einen damit verknüpften vergoldeten Abschied für den aktivistischen Aktionär Elliott geht. Der Hedgefonds soll mit einer Zahlung von 35 Euro je Aktie beziehungsweise 765 Mill. Euro für seine 21,86 Millionen Aktien beinahe doppelt so hoch abgefunden werden wie die freien Aktionäre vor über einem Jahr beim Rückzug vom regulierten Markt der Frankfurter Börse. Damals hatte das Kaufangebot bei 18,57 Euro je Aktie gelegen. Begründet wurde dieser niedrige Betrag – aktienrechtlich korrekt – mit dem durchschnittlichen Sechsmonatskurs. Schon vorher kursierende Delisting-Gerüchte sowie eine von CEO und Mehrheitsaktionär Oliver Samwer demonstrativ gepflegte Ideenlosigkeit zur strategischen Weiterentwicklung des Internet-Inkubators hatten den Kurs der Aktie deutlich unter seinen fundamentalen Wert gedrückt, der seinerzeit von Analysten zwischen 30 und 35 Euro angesiedelt worden war.

Düpierter Streubesitz

Während der düpierte Streubesitz, der damals rund 40% der Aktien hielt, bei der Delisting-Ankündigung das Kaufangebot von 18,57 Euro vor allem mit jenen 42,50 Euro verglich, die Rocket Internet im Jahr 2014 beim Börsengang einstrich, rückt nun der innere Wert der Aktie in den Fokus. Interessanterweise begründet jetzt der Vorstand in der HV-Einladung mit dem fundamentalen Wert des Titels den Rückerwerbspreis von 35 Euro je Aktie. Am Börsenwert der nach dem Delisting nur noch im Freiverkehr der Börse Hamburg gehandelten Titel könne man sich ja nicht orientieren, weil diesem Markt die Tiefe und Liquidität fehle. Man kann sich die Krokodilstränen in den Augen der Samwer-Brüder und ihrer juristischen Berater allzu gut vorstellen, die ja das Delisting in Szene gesetzt haben, um den Rücken frei zu bekommen für ihre fragwürdigen Transaktionen.

Und da sich auch – welch ein Zufall! – der durchgerechnete Wert des bilanziellen Eigenkapitals zum Ultimo 2020 auf 32,22 Euro im Einzelabschluss beziehungsweise 35,55 Euro im Konzernabschluss stellte, könne man gar keinen anderen Preis anbieten als einen am Fundamentalwert des Unternehmens orientierten, so der Vorstand. Dass bei den mit 18,57 Euro je Titel abgefundenen Streubesitzaktionären angesichts solcher Unverfrorenheit der Adrenalinspiegel hochschießt, kann nicht verwundern. Die bereits anhängigen Klagen gegen die Kapitalmaßnahmen werden wohl nicht die letzten sein. Schon bei Ankündigung des ersten Streichs sprach der Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW, Marc Tüngler, von „legalem Betrug“. Und dass die geschickte Kombination einzelner, für sich genommen legaler Kapitalmarkttransaktionen im Zusammenwirken zu einem rechtswidrigen Ergebnis und „faktischer Enteignung“ führt, davon sind Corporate-Governance-Experte Christian Strenger und die Frankfurter Rechtsprofessorin Julia Redenius-Hövermann überzeugt.

Eine Hand wäscht die andere

Der Clou am zu beschließenden Rückkauf und dem dicken Abschiedsgeschenk für Elliott: Obwohl das Rückerwerbsangebot im Verhältnis 4 zu 1 gilt, also je 4 Aktien nur ein Andienungsrecht gewährt wird, kann Elliott alle ihre knapp 22 Millionen Aktien andienen – dies ist sogar Bedingung. Möglich wird das dadurch, dass der Mehrheitsaktionär, die 67 Millionen Aktien haltende Samwer-Holding Global Founders, den Großteil ihrer Andienungsrechte unentgeltlich an Elliott überträgt. Da kommt man schon ins Grübeln, ob Elliott nicht geradezu in ihre Rolle gebeten wurde, um den Wert der Samwer-Beteiligung zu treiben.

Unterm Strich wird jedenfalls durch die verschiedenen Transaktionen aus einer Beteiligung der Samwer-Holding von 62% an einer blutleeren Rocket Internet, die nur noch einem Wert von 1,25 Mrd. Euro entsprach, eine Beteiligung von 82% an einer abgespeckten Rocket Internet im aktuellen Wert von 2,35 Mrd. Euro. Gekostet hat der Spaß der Großaktionäre das Unternehmen dann fast 970 Mill. Euro. Da die Barmittel von 279 Mill. Euro dafür nicht ausreichen, will Rocket Internet entsprechend liquide Finanzanlagen verkloppen.

Hier neben dem ethischen auch ein rechtliches Haar in der Suppe zu finden dürfte schwer werden. Denn sowohl Rocket Internet als auch Elliott, die sich beide so schiedlich-friedlich zulasten der Streubesitzaktionäre in einem Tender Agreement verständigt haben, werden von renommierten Kanzleien wie Sullivan & Cromwell, Noerr, Freshfields Bruckhaus Deringer und Broich beraten. Diese Adressen kennen nicht nur das Gesetz, sondern auch den Gesetzgeber.

Wie Aktionärsrechte im Falle von Delistings zu schützen sind, hat Gesetzgeber und oberste Gerichte schon wiederholt beschäftigt. Der Fall Rocket Internet sollte zu einer abermaligen Nachbesserung führen. Es braucht eine Hürde für Delistings zu manipulierten Preisen, beispielsweise durch das Erfordernis einer HV-Zustimmung. Denn der Wert einer Aktie hängt auch an ihrer Fungibilität und der möglichen Zugehörigkeit zu Indizes. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich aus der auch in Deutschland größer gewordenen Herde der Einhörner manch eines auf den von Rocket Internet bereiteten Trampelpfad begibt.

c.doering@boersen-zeitung.de

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