Niederlage und Sternstunde für Adidas
Niederlage und Sternstunde
Mal gewinnt man, mal verliert man: Die alte Sportlerweisheit erlebt Adidas gerade
Von Joachim Herr, München
Wenn alle Kuckucksuhren-Manufakturen im Schwarzwald, die Lufthansa und das Hofbräuhaus in München gleichzeitig ins Ausland verkauft würden, wäre der Aufschrei vermutlich kaum größer. Was in diesen Tagen sogar Politiker echauffiert, ist die vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) angekündigte Trennung von Adidas. Den Zuschlag als künftiger Ausrüster bekam der Branchenprimus Nike, der schon 2006 versucht hatte, den deutschen Rivalen auszustechen. Die Amerikaner boten bereits damals viel mehr Geld. Doch ein Schiedsgericht verpflichtete den DFB, zur Zusage an den alten Freund Adidas zu stehen.
„Der DFB und Adidas gehören einfach zusammen“: Das war das Credo des früheren Vorstandsvorsitzenden Herbert Hainer, auf das sich auch dessen Nachfolger Kasper Rorsted zur Vertragsverlängerung im September 2018 berief. Seit dem Jahr 1950 währt die enge Partnerschaft, in der Nostalgie, Tradition und ein Hauch Patriotismus verschmelzen. Legendärer Glanzpunkt der Anfangszeit war das Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern, als die deutsche Mannschaft um Kapitän Fritz Walter die hochfavorisierten Ungarn mit 3:2 bezwang – im Regen mit Schraubstollen von Unternehmensgründer Adolf (Adi) Dassler.
Verblasster Glanz
Der letzte große Glanztag des DFB-Herrenteams liegt schon zehn Jahre zurück: der 1:0-Sieg im WM-Finale gegen Argentinien. Es folgte das blamable Ausscheiden nach der Vorrunde 2018 und 2022, dazwischen das Aus im Achtelfinale der Europameisterschaft. Auch das Frauenteam enttäuschte zuletzt. Da wirkt es erstaunlich, dass Nike für die acht Jahre Laufzeit von 2027 bis 2034 dem DFB wesentlich mehr überweist als die bisher von Adidas gezahlten 50 Mill. Euro im Jahr. Die Informationen reichen bis 100 Mill. Euro.
Angesichts eines Marketingbudgets von 2,5 Mrd. Euro im vergangenen Jahr hätte sich auch Adidas einen höher dotierten Vertrag leisten können. Doch die Frage stellt sich, ob das in der sportlichen Misere des DFB angemessen wäre – auch wenn die jüngsten Siege in den Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande auf die EM in diesem Sommer hoffen lassen. Jedenfalls hatte Adidas nach Informationen der Börsen-Zeitung nicht die Möglichkeit, das Anfangsgebot zu erhöhen, um Nike noch zu übertrumpfen. Der finanziell klamme DFB entschied offenbar aufgrund der ersten Offerten. Den Partner verärgerte der Verband aber mit seiner Kommunikation: Adidas wurde erst am selben Tag wie die Öffentlichkeit informiert.
3 Millionen Trikots zum WM-Sieg
Der Preis für solche Ausrüsterverträge hängt in der Regel außer von einer fixen Summe zum kleinen Teil von dem sportlichen Erfolg und dem Verkauf der Trikots ab. Zahlen werden nicht mehr genannt. 2014 hatte Adidas berichtet, dass vor und nach dem WM-Sieg in Brasilien rund 3 Millionen Trikots der Nationalmannschaft verkauft wurden. Bis heute ist es der absolute Rekord für ein DFB-Trikot.
Die neuen Oberteile, Hosen und Stutzen für die EM präsentierte Adidas erst vor zwei Wochen. Das Auswärtstrikot sorgt angesichts der ungewöhnlichen Farbwahl mit einem Ineinanderfließen von Pink und Lila für Aufsehen. Offenbar trifft es den Geschmack von vielen: Adidas teilte nach den ersten Tagen im Handel mit, dass sich die neue Auswärtskluft besser verkaufe als jedes andere in dieser Kategorie zuvor. In der Vergangenheit waren Schwarz und Grün die dominierenden Farben, einmal – 2008 – war das Auswärtstrikot rot. Offen ist, ob das neue Outfit der Beginn eines Trends zu Überraschungseffekten ist oder sich später als einmaliger Irrläufer herausstellt.
Freundschaft als Auslaufmodell
Da die Entscheidung für Nike schon drei Jahre vor Vertragsbeginn gefallen ist, wird aus der dicken Freundschaft von DFB und Adidas ein Auslaufmodell. Auf der Führungsebene könnte es frostig werden. Beide Seiten müssen sich zusammenreißen, denn in der restlichen gemeinsamen Zeit nach der EM im Juni und Juli steht noch ein großes Turnier an: die WM 2026 in Kanada, Mexiko – und der Nike-Heimat USA. Freilich muss sich das deutsche Team dafür erst qualifizieren.
Eine Sternstunde im Sportartikeluniversum erlebte Adidas im Februar in den USA – ganz ohne Marketingaufwand. Mehr als 120 Millionen Zuschauer in den USA und 60 Millionen in anderen Ländern sahen den Super Bowl, das Saisonfinale im American Football. Auf der Tribüne zeigte sich Taylor Swift, derzeit der angesagteste Star am Pophimmel, neben Blake Lively. Besser hätten es sich Marketingstrategen nicht ausdenken können: Lively trägt ganz lässig Jacke und Hose in leuchtendem Rot mit den drei Streifen.
Werbung ohne Marketingvertrag
Die Schauspielerin gehört zu den Promis in der Unterhaltungsszene, die Mode von Adidas ohne Werbevertrag tragen. Auch Taylor Swift wird ab und zu in Adidas-Schuhen gesehen. Vorstandschef Bjørn Gulden packte die Gelegenheit am Schopf, wie er vor kurzem in der Bilanzpressekonferenz erzählte, um die Vermarktung der von Lively getragenen Adicolor-Jacke zu forcieren. Besondere Aufmerksamkeit wie im Fall des Super Bowl nutzt das Unternehmen auf eigenen Kanälen wie der Internetseite, Newslettern und in E-Mails an Mitglieder des Adidas-Clubs, aber auch im Kontakt mit dem Fachhandel.
Der Abverkauf im Handel zieht an
Der Einzelhandel ist für Gulden ein entscheidender Weg, um die Marke mit den drei Streifen auf die Erfolgsspur zurückzubringen. Sein Vorgänger Kasper Rorsted hatte diesen Vertriebskanal vernachlässigt zugunsten der renditestärkeren Schiene „Direct to Consumer“ mit eigenen Läden und dem Online-Handel. Guldens Umgang mit den Händlern kommt gut an. Frank Geisler, einer der drei Vorstände von Intersport Deutschland, konstatiert: „Bjørn Gulden stellt die Produkte deutlich in den Vordergrund und sucht den persönlichen Kontakt zu uns, um über die Produkte zu sprechen.“ In dem Handelsverbund sind hierzulande rund 1.400 Sportfachgeschäfte organisiert.
Gulden habe verstanden, dass der Einzelhandel ein wichtiger Partner für die Marke sei, um Nähe zum Konsumenten und Sichtbarkeit zu schaffen. „Man sieht, dass Adidas sich mit ihm viel mehr auf seine eigenen Stärken konzentriert, sich stärker von seinen Mitbewerbern abgrenzt und eine eigene Position einnimmt“, berichtet Geisler. Der Abverkauf von Produkten, die wie Adidas Originals und das Fußballsegment zum Markenkern gehörten, habe wieder angezogen. „Das könnten Indikatoren dafür sein, dass die Marke auf dem Weg zu alter Stärke ist.“
Im Gegensatz zum engen Verhältnis zum Handel dürfte Guldens Beziehung zur DFB-Führung nun angespannt sein. Aber vielleicht nimmt der frühere Fußballprofi das Ganze einfach nur sportlich.