Adrenalinschübe und Sicherheitsbedürfnis
Notiert in Moskau
Adrenalin und Sicherheitsbedürfnis
Von Eduard Steiner
Auch in der Isolation steht das Leben nicht still. Gewiss, dass in der abgelaufenen Woche die russischen Aktien förmlich durch die Decke gingen, nachdem US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert hatte, liegt an der Vorfreude über eine mögliche Beendigung dieser Isolation. Aufgrund der westlichen Sanktionen ist den Russen nämlich eine Vielzahl von Annehmlichkeiten verwehrt. Und an der besagten Börse fehlen ihnen die internationalen Investoren, die früher den Ton dort wesentlich mitangaben.
Aber wie gesagt: Auch in der Isolation steht das Leben nicht still. Und weil wir gerade bei der Börse sind, so sorgt der Staat dort aktuell sogar für noch mehr Leben. Soeben nämlich wurde die Testphase für den Wochenendhandel an der Moskauer Börse durchgeführt. Vorerst ist nur eine kleine Anzahl von professionellen Händlern zugelassen, und auch die Anzahl der gehandelten Aktien ist auf die liquidesten beschränkt. Wann der Wochenendhandel endgültig auch für private Kleinanleger eingeführt wird, steht noch nicht fest. Von Börsenseite wurde Ende des ersten Quartals als möglicher Termin genannt.
In St. Petersburg wohlgemerkt hat die dortige Börse den regulären Wochenendhandel bereits etabliert – und zwar zum 1. Februar 2025.
Kein klares Meinungsbild
Die professionellen Marktteilnehmer bewerten die zeitliche Ausweitung des Handels uneinheitlich. Vorerst klagen manche von ihnen über Mehrausgaben, von denen nicht klar sei, ob sie sich rechnen. Ein Vertreter des Vermögensverwalters Ingosstrach-Investments sagte dem führenden Wirtschaftsmedium RBC die Meinung, dass die Initiative zum Wochenendhandel eher auf Privatanleger abziele, „denen es wochentags an Adrenalin auf den Märkten fehlt“.
Glücksspiel boomt in Russland
Eine andere Art von Adrenalinschub holen sich die Russen im Glücksspiel. Wie nämlich besagte RBC vermeldet, stieg die Anzahl der Lotteriescheinkäufe im vergangenen Jahr um 30% gegenüber dem Jahr davor. Aber nicht nur die Anzahl der Käufe hat zugelegt, sondern auch die durchschnittlichen Ausgaben pro Kauf sind auf 210 Rubel (2,20 Euro) geklettert, während sie im ersten Kriegsjahr 112 Rubel ausgemacht hatten.
Man kann hier im Allgemeinen wohl getrost die Inflation im Spiel sehen. Und im Besonderen die stark gestiegenen Löhne in der berüchtigten Kriegswirtschaft – und zwar nicht nur nominell, sondern auch real. Das Analysehaus führt allerdings noch einen anderen Grund an: die intensive Bewerbung des Glücksspiels im Fernsehen und gezielt im Internet. Das Glücksspiel gehört dem Staat – und der braucht Geld.
Betrüger an der Börse
Die Russen selbst sind freilich nicht nur auf das schnelle Geld mittels Glücksspiel aus. Angesichts der immens hohen Zinsen von über 20% auf Spareinlagen horten die meisten das Geld auf der Bank. Und im Wissen darum, dass die Wirtschaft abbremst und es im Land immer wieder zu unvorhergesehenen Krisen kam, greifen wieder mehr zum Gold. Den Daten des World Gold Council zufolge haben Russen im vergangenen Jahr so viel physisches Gold erworben wie seit 2013 nicht. In Form von Schmuck, Münzen und Barren kauften sie 75,6 Tonnen des Edelmetalls – um die 6% mehr als 2023.
Doch zurück zu den Börsen: Dort hat sich die Anzahl der illegalen Marktteilnehmer 2024 mehr als verdoppelt. Ihre populärsten „Dienstleistungen“ sind Handelsangebote auf Kryptobörsen und auf dem Devisenmarkt im Ausland, wie die Zentralbank mitteilte. Das gängigste Werbemittel ist ein vorgetäuschter Zugang zu ausländischen Bezahlungssystemen. Das ist leicht erklärt: Die Einschränkungen durch die Sanktionen haben immer mehr Leute satt. Nicht, dass das Leben in der Isolation stillstünde, nein. Aber man will halt doch aus ihr raus.