LeitartikelHoffnung auf IPO-Boom

Amerikas Fintech-Gründer sind zu optimistisch

Fintech-Gründer in den USA setzen große Hoffnungen in die geldpolitische Lockerung und den Boom um künstliche Intelligenz. Doch die Euphorie erinnert an den verpufften Hype um Blockchain-Technologie.

Amerikas Fintech-Gründer sind zu optimistisch

US-Fintechs

Die verwegene Zuversicht der Gründer

Die Euphorie der
US-Finanzszene in Bezug auf KI erinnert stark an den verpufften Hype um Blockchain-Technologie.

Von Alex Wehnert

Start-up-Gründer sind Berufsoptimisten – doch macht sich in Amerikas Fintech-Szene dieser Tage eine geradezu verwegene Zuversicht breit, die mit den Realitäten des Marktes wenig zu tun hat. So herrschte auf der Branchenkonferenz „Money 20/20“ in Las Vegas Ende Oktober Feierlaune. Ganz im Gegensatz zu den beiden vergangenen Auflagen, wo laut Besuchern gedrückte Stimmung herrschte. Tatsächlich gibt es auf den ersten Blick Gründe für die Ausgelassenheit der Messegäste, die sich im „Venetian“ wahlweise von drei populären DJs beschallen lassen und sich auf der Restaurantmeile des Casinos auf Einladung von Technologieriesen wie Nvidia oder Google mit Drinks vergnügen.

Frische Liquidität und aufgehelltes Umfeld

So spülen die Zinssenkungen der Federal Reserve nach harten Jahren frische Liquidität in den Markt, hellen damit auch das Umfeld für Frühphasen-Finanzierungen auf. Dies ebnet – so zumindest die Hoffnung an der Wall Street – innovativen Finanzfirmen den Weg an die Börse. Lynn Martin, Präsidentin der New York Stock Exchange, betont, dass junge Fintechs deutlich stärker unter der konjunkturellen Unsicherheit der vergangenen Monate gelitten hätten als etablierte Namen. Daher besäßen sie im aufgehellten ökonomischen Umfeld mit Blick auf IPOs Aufholpotenzial gegenüber Unternehmen mit längerer Wachstumshistorie und profitablem Geschäftsmodell. Zudem hat die Branche mit generativer künstlicher Intelligenz wieder ein Trendthema, an dem sie sich hochziehen kann. Auf der „Money 20/20“ gibt es praktisch keinen anderen Gesprächsstoff: Alles, vom Kundenservice über das Kredit-Underwriting bis hin zum Clearing von Wertpapiergeschäften, wollen die berauschten Branchenvertreter künftig über große Sprachmodelle und lernfähige Algorithmen optimieren.

Diesmal, so der Tenor, sei alles anders als in vorherigen Hype-Zyklen wie jenem um Blockchain-Technologie. Deren realwirtschaftliche Anwendungen sollten ebenfalls angeblich das Finanzsystem revolutionieren, doch von dem vermeintlichen Boom ist lediglich eine gewisse Aufmerksamkeit für einige hochvolatile Kryptowährungen übrig geblieben. So zählt der Bitcoin-Miner Cleanspark zu den wenigen Distributed-Ledger-Vertretern, die mit vergleichsweise schwach besuchten Ständen auf der Branchenkonferenz die Stellung halten.

Falsche KI-Federn als Schmuck

Die Vertreter des Sektors mögen sich einreden, dass die Perspektiven bezüglich der Adaption diesmal rosiger sind. Doch wie bei Blockchain ist bei den KI-Anwendungen vieles noch ein Hoffnungswert. Substanzielle Entwicklungen auf Basis der Technologie, die großflächig Mehrwert schaffen, sind abseits von Chatbots im Kundendienst bisher rar gesät. Vielmehr ist der Trend zum „AI Washing“ in den Fokus der Wertpapieraufsicht SEC gerückt. Analog zum Greenwashing, bei dem Unternehmen sich nachhaltiger geben, als sie sind, schmücken sich Anbieter in diesem Fall mit falschen KI-Federn.

Im Frühjahr hat die SEC die Investmentberater Delphia und Global Predictions verklagt wegen angeblich irreführender Behauptungen zum Ausmaß, in dem sie maschinelles Lernen bei ihren Dienstleistungen nutzen. Die Firmen schlossen darauf einen Vergleich und kamen mit Zivilstrafen von insgesamt 400.000 Dollar noch günstig davon – doch je mehr Branchenvertreter auf den Zug aufspringen, desto weitreichender die Auswirkungen auf Anleger und umso härter dürfte die Aufsicht auch gegen mutmaßliche Übeltäter vorgehen. Dieses Prinzip hat sich bereits im Zuge der zwischenzeitlichen Popularitätsgewinne von Blockchain-Technologie bewahrheitet.

Großer Schaden droht

Das „AI Washing“ ist aber nicht das größte Problem, das der Finanzsektor in Bezug auf die Verbreitung großer Sprachmodelle hat. Zwar mögen Anbieter von Zahlungssystemen wie Mastercard oder Total System Services die Chancen von KI in der Betrugsprävention hervorheben – doch entwickeln Verbrecher ihre Angriffsmethoden mithilfe der Technologie weitaus schneller weiter, als Unternehmen reagieren können. Auch hier gilt: Je größer der verursachte Schaden, desto skeptischer werden Regulatoren, Kunden und damit auch Geldgeber auf die Start-ups blicken. Die verwegene Zuversicht der Gründer könnte daher schon bald wieder düsterer Stimmung weichen.

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