Auch Wohlstand muss erstritten werden
Grundgesetz
Auch Wohlstand muss erstritten werden
Von Angela Wefers
Das Wohlstandsversprechen hat 75 Jahre die Demokratie getragen. Doch das ist kein Selbstläufer.
Das Grundgesetz wird 75. Berlin feiert – am 23. Mai mit einem Staatsakt und über das Wochenende mit einem Demokratiefest für die Bürger. Deutschland hat allen Grund zu feiern. Eine Periode von 75 Jahren in Freiheit, Frieden und Wohlstand sucht ihresgleichen in der deutschen Geschichte. Für den Osten des Landes ist es immerhin ein 35-jähriges Jubiläum, nachdem die Bürger der DDR für Freiheit und Demokratie kämpften und die Berliner Mauer 1989 dann gefallen ist. Das Grundgesetz gilt seit 1990 für West und Ost.
Die junge Nachkriegsdemokratie im Westen wurde seit 1945 – nach Diktatur und Unterdrückung durch das Naziregime – getragen vom Wohlstandsversprechen. Das deutsche Wirtschaftswunder eröffnete Aufstiegsperspektiven. Der neue „Wohlstand für alle“ etablierte eine gesellschaftliche Mitte, die der Demokratie zunehmend Stabilität verlieh. Vor und während des Kriegs hatten Staat und Partei in die Wirtschaft eingegriffen. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard gelang 1949 mit der Währungsreform quasi über Nacht ein Coup: Mit der Freigabe der Preise füllten sich die Regale wieder mit Waren. Die Zwangsbewirtschaftung mit Lebensmittelkarten fand ein rasches Ende. Die Soziale Marktwirtschaft als System bahnte den Weg für den neuen Wohlstand in Deutschland.
Obwohl Demokratie und Wohlstand oft in einem Atemzug genannt werden, bleibt das Grundgesetz mit Blick auf die Wirtschaftsordnung neutral. Die Weimarer Reichsverfassung hatte noch ausdrücklich Regeln und eine Programmatik zur Wirtschaftsverfassung aufgestellt. Der Parlamentarische Rat verzichtete indes ausdrücklich darauf. Das Wirtschaftssystem sollte sich frei entwickeln können. Festgelegt wurden stattdessen eine Reihe von essenziellen Prinzipien für eine Marktwirtschaft: das Privateigentum samt Erbrecht (Art. 14), Berufs-, Gewerbe- und Unternehmerfreiheit sowie freie Wahl der Arbeitsstätte (Art. 12), die Freizügigkeit von Arbeit und Wohnung im gesamten Bundesgebiet (Art. 11), die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9) explizit auch, um Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, und schließlich die Vertragsfreiheit, die in den persönlichen Freiheitsrechten (Art. 2) manifestiert ist. Diese Prinzipien wurden unmittelbar geltendes Recht. Als Teil der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes sind sie unabänderlich. Dagegen dürfen keine Gesetze gemacht werden.
Dies ist Fundament und Auftrag zugleich. Die Soziale Marktwirtschaft hat hierzulande gute rechtliche Bedingungen. Sie muss aber immer wieder gegen zu heftigen staatlichen Interventionismus verteidigt werden. So wie die Demokratie sich ebenfalls nicht als Selbstläufer erwiesen hat. Wohlstand kommt schließlich nicht durch Umverteilung, sondern durch Initiative, Gestaltungswillen und Aufstiegschancen. Das Jubiläum ist daher auch eine Mahnung, die wirtschaftliche Basis der Demokratie zu festigen.
Noch an anderer Stelle hat das Grundgesetz wirtschaftlichen Bezug – und durchaus Reformbedarf. In den Artikeln 104a bis 115 ist die Finanzverfassung von Bund und Ländern verankert. In einer Mischung aus Trenn- und Gemeinschaftssystem ist dort festgelegt, wem welche Steuerarten zustehen. Auch der Finanzausgleich und die Schuldenbremse sind dort festgeschrieben. Dieser Teil hat keine Ewigkeitsgarantie und wiederholte Reformen erlebt: 1969, 2006, 2009 und 2017. Stets wurde nur Geld umverteilt und zuletzt das kreditfinanzierte Sondervermögen für die Bundeswehr verankert. Weitere Ideen diese Art gibt es schon: etwa für einen Infrastrukturfonds.
Grundsätzliche Fragen bleiben indessen auf der Strecke: Die wirr verflochtenen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern etwa wurden trotz vieler Novellen nie neu geordnet. Eine mögliche Reform der Schuldenbremse, die sich viele nur mit dem Ziel höherer Staatsverschuldung wünschen, wäre der Anlass, einen neuen Anlauf zu nehmen. Es wäre dringend nötig, Autonomie und Verantwortung im föderalen Staat sauber zu regeln. Jede Ebene muss für sich gegenüber den Wählern in der Pflicht stehen. Auch dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Festigung der Demokratie.