Aus den Augen, aus dem Sinn
Notiert in Frankfurt
Aus den Augen, aus dem Sinn
Von Lutz Knappmann
Der Impuls ist nachvollziehbar: Smartphones sind überall. Sie absorbieren die Aufmerksamkeit ihrer Besitzer in jeder freien Minute – und viel zu oft auch in Minuten, in denen eigentlich andere Aufgaben im Mittelpunkt stehen sollten. Lernen zum Beispiel. Erwartbar also, dass immer mehr Schulen versuchen, Handys aus dem Unterrichtsalltag zu verbannen. Naheliegend auch, dass die Politik auf das Thema aufspringt und formale Handyverbote an Schulen in Gesetzesform gießen will.
Kommende Woche wird Hessens schwarz-rote Landesregierung einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen, der die private Nutzung von Smartphones, Smartwatches und Tablets auf dem Schulgelände verbietet. Ausnahmen gelten nur für Notfälle und für den vom Lehrer explizit initiierten Einsatz im Unterricht. Bekommt der Regierungsvorstoß die nötige Parlamentsmehrheit, könnten Lehrer in Hessen bereits ab August Handys bis zum Unterrichtsende wegschließen, wenn sich Schüler nicht an die Regeln halten.
Schutz vor Fake News wird zur Privatsache
Damit lasse sich nicht nur die Konzentration auf den Unterricht fördern, sondern, so hofft die hessische Regierung, auch verhindern, dass Kinder und Teenager permanent und ungefiltert von fragwürdigen Social-Media-Posts, Fake News und generell altersungerechten Inhalten überflutet werden.
Vorbilder für solche Verbote gibt es inzwischen einige: Italien, Frankreich und die Niederlande haben ähnliche Regelungen eingeführt – in durchaus unterschiedlicher Ausprägung. Dänemark prüft diesen Schritt gerade. Und in Deutschland signalisieren neben Hessen zahlreiche weitere Bundesländer ihr Interesse.
Nur: Ein Problem zu verbannen bedeutet nicht, es auch zu lösen. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ hilft selten nachhaltig. Ein vernünftiger und gesunder Umgang mit Smartphones, mit dem Internet und mit digitalen Medien ist ein gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und sie betrifft längst nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch deren Eltern.
Verbote steigern den Reiz
Wenn Erwachsene nicht verstehen, wie sie im digitalen Raum Wahrheit von Fiktion, Breaking News von Fake News, echte Menschen von KI-Bots unterscheiden – wie wollen sie ihrem Nachwuchs einen reflektierten Umgang damit vorleben? Wenn Schulen digitale Medien und Devices nicht als alltägliche Werkzeuge produktiv integrieren, sondern sie verbannen und zur Privatsache erklären: Wie wollen sie ihren Schülern vermitteln, dass Smartphones keine begehrenswerten und dauerverfügbaren Sehnsuchtsorte sind, sondern schlicht technische Zugänge zu einer digitalen Welt, die einen selbstbewussten, kritischen und unabhängigen Kopf erfordert, um darin nicht unterzugehen.
Das Lamento, dass Schulen viel mehr Lebenskunde und Medienkompetenz vermitteln müssten, ist wirklich nicht neu. Dass die Handyverbots-Gesetzentwürfe diese Bildungsaufgabe lediglich in wohlfeilen Absichtserklärungen adressieren, ist brandgefährlich.