Autobauer in Erklärungsnot
Tarifstreit
Autobauer in Erklärungsnot
Von Sebastian Schmid
Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Nach diesem Motto verfahren sowohl Autobauer als auch Gewerkschaften.
Die Lage der Autoindustrie war definitiv schon eine bessere. Krisengipfel in Berlin, schwache Verkaufszahlen in China, drohende Strafen in der EU: die Angst vor dem Abstieg geht um. Während die Politik fieberhaft überlegt, wie sie die Autohersteller pampern kann – Abwrackprämie, Ausweitung von Steuervorteilen –, schwören deren Manager die Belegschaften auf harte Einschnitte ein.
Da mag es überraschen, dass die Gewerkschaften sich stur zeigen und nicht von früheren Forderungen abrücken wollen. Bei Volkswagen wird eine Beschäftigungszusicherung über 2030 hinaus und eine 7-prozentige Entgeltanhebung gefordert. Im Fall eines Scheiterns wird nach Ablauf der Friedenspflicht am 30. November bereits ein Streik zur Weihnachtszeit in Aussicht gestellt. Bei Wettbewerber Stellantis könnten bereits in drei Wochen einige Bänder stillstehen. Die italienischen Gewerkschaften haben für den 18. Oktober zu einem eintägigen Streik aufgerufen.
Haben die Arbeitnehmervertreter den Schuss nicht gehört? Ganz so ist es nicht. Denn nur weil ein Konzern mit dem Klingelbeutel vorstellig wird, heißt das nicht, dass bereits umfassend gespart wird. So hat Volkswagen beispielsweise bei allen Problemen noch im Frühjahr satte 9 Euro je Stammaktie an Dividende ausgekehrt. Die Dividendenrendite liegt zum aktuellen Kurs bei über 9%. Der Aktienentwicklung hat der Geldregen nicht geholfen. Binnen drei Jahren wurden die Ausschüttungen von VW nahezu verdoppelt. Derweil hat sich der Kurs mehr als halbiert. Bei Stellantis liegt die Dividendenrendite sogar noch höher. Kaviar und Schampus für die Aktionäre, Graubrot für die Belegschaft? Das dürfte die Bereitschaft, den Gürtel enger zu schnallen, bei den Gewerkschaften kaum erhöht haben.
Dennoch sind die operativen Probleme offenkundig. Die heimischen Werke sind zu gering ausgelastet und so nicht wettbewerbsfähig. Ein wesentlicher Grund ist, dass die geringe Nachfrage nach Elektroautos in Europa auf Sicht keine höhere Auslastung zulässt. Jetzt rächt sich, dass die Arbeitnehmervertreter bei VW und anderen europäischen Herstellern dafür gekämpft haben, möglichst viele E-Baureihen in die heimischen Werke zu holen. Denn mit dem Bestandsportfolio ist eine schnelle Absatzsteigerung nicht zu erwarten. Und die Konzernführungen müssen daher reagieren. Für die Tarifverhandlungen ist das eine Hypothek. Beide Seiten haben Fehler gemacht. Und keiner will Verantwortung übernehmen.