Neue Sanktionen

Bar jeder ökonomischen Vernunft

Preisobergrenzen für russisches Öl und für Erdgasimporte der EU dürften mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Bar jeder ökonomischen Vernunft

Die wirtschaftliche Konfrontation zwischen Ost und West läuft derzeit nicht gerade zur Zufriedenheit der Regierungen der westlichen Indus­trieländer. Dies gilt insbesondere für die Sanktionen im Energiebereich. So verdient Russland trotz gesunkener Exportmengen mehr als jemals zuvor. Gleichzeitig leidet der Westen, insbesondere die Europäische Union, unter den exorbitant hohen Energierechnungen. Nach Berechnungen von Goldman Sachs wachsen diese derzeit um 1,4 Bill. Euro auf 2 Bill. Euro pro Jahr, womit sich die Frage stellt, wen die EU hier eigentlich sanktioniert. Es besteht die große Gefahr, dass insbesondere Europa einen regelrechten Zusammenbruch der Industrie erleidet.

Also müssen neue Maßnahmen her. Zum einen mit dem erklärten Ziel, doch noch dafür zu sorgen, dass Russland die Mittel zur Finanzierung des Kriegs ausgehen, zum anderen, um die ins Gigantische gewachsenen Energiekosten insbesondere der EU zu senken. Was liegt in der gegenwärtigen beklagenswerten Situation näher, als es einfach mal mit Preisobergrenzen zu versuchen? Die Idee wurde von niemand Geringerem als der US-Finanzministerin Janet Yellen eingebracht. Die Preisobergrenzen sollen oberhalb der Produktionskosten liegen, in der Hoffnung, dass die Anbieter die Förderung nicht einfach einstellen, aber deutlich unterhalb des gegenwärtigen Marktpreisniveaus. Allerdings ist zu befürchten, dass die Maßnahmen letztlich jeder ökonomischen Vernunft entbehren.

Vereinbart haben die G7-Industrieländer bereits eine Preisobergrenze für russische Ölexporte per Tanker. Umgesetzt werden soll diese durch das Verbot der Versicherung von Tankschiffen beim Transport von zu teurem russischen Öl. Kontrollieren sollen dies die Versicherer und ihre Agenten, was insofern völlig realitätsfremd ist, als diesen die Infrastruktur für derartige Preiskontrollen fehlt. Zudem lässt sich relativ einfach die Herkunft von Öl verschleiern. Und selbstverständlich sind auch Länder wie Russland, China und Indien in der Lage, Versicherungsdienstleistungen anzubieten. Leidtragender hier wäre im Zweifel der Londoner Versicherungsmarkt.

Ferner sind die G7-Staaten, auf die nur noch ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung entfällt, darauf angewiesen, dass sich andere große Ölverbraucher den Maßnahmen anschließen. Damit ist aber nicht zu rechnen, denn weshalb sollten beispielsweise China und Indien gegen ihre eigenen Interessen handeln? Dies könnte für eine äußerst begrenzte Wirksamkeit der Maßnahme sprechen.

Andererseits hat der russische Energieminister Nikolai Schulginow noch einmal betont, dass Russland kein Land mehr beliefern wird, das sich den Preisobergrenzen anschließt. Zudem drohen die USA mit sekundären Sanktionen gegen die internationalen Käufer von russischem Öl. Insofern wäre es alternativ denkbar, dass die Preisobergrenzen eine gewisse Wirksamkeit entfalten. Aber auch das würde für die westlichen Industrieländer kein gutes Ende nehmen. Russland exportiert derzeit rund 3,6 Mill. Barrel pro Tag per Tankschiffen. Werden diese Mengen teilweise oder sogar ganz dem Weltmarkt entzogen, würde der Westen ganz erheblich darunter leiden, dass sich ein weiterer Energieträger stark verteuert.

Außerdem ist davon auszugehen, dass ein derartiger Eingriff die Marktstrukturen dauerhaft verändert. Es gibt bereits Hinweise, dass Russland anstreben könnte, nach dem Vorbild des Gasmarktes langfristige Lieferverträge in Rubel mit genehmen Kunden einzugehen, was Russland Planungssicherheit und den Kunden rabattiertes Öl geben würde. Der Westen wäre hingegen auf einen kleiner werdenden freien Weltmarkt für Rohöl angewiesen, auf dem es eine noch höhere Volatilität gäbe.

Preisobergrenzen werden auch für den europäischen Gasmarkt erörtert. Einer der Vorschläge, nämlich eine Preisobergrenze für sämtliche Gasimporte der EU, ist als besonders schädlich zu qualifizieren. Er würde dazu führen, dass auch LNG-Flüssiggastanker aus befreundeten Ländern nach Asien umgeleitet werden, wo höhere Preise zu erzielen wären. Die EU würde sich damit effektiv der verbleibenden Erdgasquellen entledigen.

Die Sanktionen gegen Russland haben hinsichtlich ihrer Ziele bislang wenig gebracht, aber für erhebliche Schäden in den eigenen Reihen gesorgt. Die vorgeschlagenen oder schon beschlossenen Preisobergrenzen drohen neues Unheil in Europa und den USA anzurichten. Der Westen sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass seine Strategie, Russland auf dem Energiemarkt zu isolieren, gescheitert ist.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.