Washington

Biden und das Dilemma der Demokraten

Joe Biden verliert seinen Charme: nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei Parteifreunden. Keine gute Startposition, um 2024 erneut gegen Trump zu reüssieren.

Biden und das Dilemma der Demokraten

18 Monate nach seiner Vereidigung am Fuße des Kapitolshügels in Washington befindet sich die Beliebtheit von US-Präsident Joe Biden im freien Fall. In der Wählergunst ist er sogar tiefer gestürzt als sein Vorgänger Donald Trump, der einen gescheiterten Staatsstreich auf dem Gewissen hat. Biden hat mit der höchsten Inflationsrate seit über 40 Jahren zu kämpfen. Er steht einem feindseligen Senat gegenüber, der jede Gesetzesinitiative zu Fall bringt. Dazu kommt noch ein Oberster Gerichtshof, in dem erzkonservative Richter das Sagen haben, die von schärferen Waffengesetzen nichts wissen wollen, Frauen aber das Recht abgesprochen haben, frei über eine Abtreibung entscheiden zu dürfen.

Mit Ausnahme der Inflation, auf die er nur begrenzt einwirken kann, handelt es sich um Faktoren, auf die der Präsident keinen Einfluss hat, die er als Inhaber des höchsten Amts im Lande aber auf seine Kappe nehmen muss. Doch selbst wenn ihn keine Schuld trifft, drängt sich die Frage auf, ob der 79-Jährige womöglich jetzt schon seine Ambitionen begraben sollte, sich um eine zweite Amtszeit zu bewerben. Einiges spricht für einen Verzicht. Die Gedächtnislücken tun sich immer wieder auf, und die Versprecher häufen sich. Kürzlich schlug Biden Wellen, als er zu sagen schien, dass er Krebs habe. Bei einem G7-Gipfel verwechselte er Syrien mit Libyen, und bei der Klimakonferenz in Schottland schlief der Präsident vor laufender Kamera plötzlich ein. Nun kommt noch seine Corona-Erkrankung hinzu, die dazu geführt hat, dass Biden seit vergangener Woche aus räumlicher Isolation heraus die Regierungsgeschäfte führt.

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Biden wegen seines Alters allein abzuschreiben, würde seinem unbestrittenen Engagement als Präsident nicht gerecht werden. Es ist aber zu berücksichtigen, dass er der mit Abstand älteste Präsident in der Geschichte ist. Und im Falle einer weiteren, erfolgreichen Kandidatur seine zweite Amtsperiode mit 82 Jahren antreten würde.

Zwei Drittel der demokratischen Wähler sind dagegen, dass Biden 2024 wieder seinen Hut in den Ring wirft, und selbst seine Parteifreunde im Kongress gehen auf Distanz zu dem amtierenden Präsidenten. Das wiederum ist eine absolute Seltenheit. Stellvertretend für viele im Kongress steht die Antwort der demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez auf die Frage, ob sie den Präsidenten in zwei Jahren unterstützen würde. „Mal sehen“, sagte die linksliberale Politikerin, die sich 2020 noch unermüdlich für den Kandidaten Biden engagiert hatte.

Folglich kommt die Partei nicht umhin, sich nach Alternativen umzusehen. Genau darin besteht das Dilemma, in dem die Demokraten stecken: Ungeachtet seiner Unzulänglichkeiten trauen sie Wählerbefragungen zufolge nur Biden zu, in zwei Jahren Trump zu schlagen, der allen Skandalen zum Trotz bei den Republikanern noch die Nase vorn hat und bald seine Kandidatur bekannt geben könnte.

Vizepräsidentin Kamala Harris, seinerzeit Bidens designierte Thronfolgerin, ist von der Bildfläche verschwunden. Wie 2020 sind jüngere Kandidaten im Gespräch, etwas Verkehrsminister Pete Buttigieg oder der ehemalige texanische Abgeordnete Beto O‘Rourke, auf die man aber nicht setzen sollte. Hoffen können die Demokraten deswegen, weil sich Wahlkämpfe in den USA durch eine einzigartige Dynamik auszeichnen. Gelegentlich begeistern nämlich charismatische Senkrechtstarter, mit denen niemand gerechnet hatte, und starten fulminant durch.

Mit solchen Kandidaten haben die Demokraten schon mehrfach Erfolg gehabt. Etwa 1976 mit Jimmy Carter, 16 Jahre danach mit Bill Clinton und 2008 dann mit Barack Obama. Die Demokraten müssen zunächst die Kongresswahlen im November überstehen und hoffen, dass sie ihre Mehrheit zumindest in einer der beiden Kammern des Parlaments verteidigen können. Bald danach geht aber schon der Präsidentschaftswahlkampf los, und dafür brauchen die Demokraten dringend wieder einen Kandidaten mit dem „Obama-Effekt“. Ansonsten könnte es durchaus sein, dass sie neben der Kongressmehrheit, um die sie bangen, auch den Chefsessel im Weißen Haus abgeben müssen.

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