Boris Johnson

Big Dog im Schmollwinkel

Boris Johnson kämpft um sein politisches Überleben. Wenn er sich nicht radikal neu erfindet, dürften die Tories ihre Mehrheit verlieren.

Big Dog im Schmollwinkel

Wer die Arbeitstitel der diversen Maßnahmen hört, mit deren Hilfe die Berater von Boris Johnson seinen Verbleib im Amt gewährleisten wollen, glaubt unweigerlich, sich in einer Simulation zu befinden. Ob es sich um die selbsterklärende „Operation Save Big Dog“ handelt oder um „Operation Red Meat“, die daraus besteht, kläffenden Hinterbänklern ein paar Brocken hinzuwerfen, in die sie ihre Zähne versenken können: Selten wirkten Inkompetenz, Arroganz und Dummheit derart surreal. Big Dog zog sich unter Berufung auf die Quarantänevorschriften bei Kontakt mit Infizierten aus der Öffentlichkeit zurück, nachdem seine halbherzige Entschuldigung für die Partys an seinem Amtssitz während des Lockdowns selbst bei seinen treuesten Unterstützern schlecht angekommen war. Er kann nur hoffen, dass ihn die Karrierebeamtin Sue Gray am Ende ihrer Untersuchung der Feiertätigkeit in der Downing Street nicht direkt dafür verantwortlich macht.

Es mag die konservative Basis erfreuen, dass Kulturministerin Nadine Dorries von der Leine gelassen wird, um den Druck auf die BBC zu erhöhen. Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders hatten in vielen Fragen – vom Kulturkampf an den Universitäten bis hin zum Klimawandel – aus ihrer Parteilichkeit keinen Hehl gemacht. Nun werden die Rundfunkgebühren eingefroren, was sich als Beitrag zur Dämpfung des Anstiegs der Lebenshaltungskosten verkaufen lässt. Auch ein schnelles Ende der vor Weihnachten als „Plan B“ verkündeten Corona-Restriktionen würde bei vielen Mitgliedern der Regierungspartei gut ankommen, die Mobilisierung des Militärs, um die illegale Zuwanderung über den Ärmelkanal zu stoppen, ebenso. Doch wird ein wenig Aktionismus in Randbereichen nicht reichen, um den herrschenden Unmut zu besänftigen.

Johnson hat es geschafft, Vertreter aller Strömungen innerhalb der Partei gegen sich aufzubringen. Entscheidend sind jedoch die Brexit-Befürworter aus den ehemaligen Labour-Hochburgen, die bei den Tories vorübergehend eine neue politische Heimat gefunden haben. Diese Revolte von rechts hat den Konservativen im November 2019 eine überwältigende Mehrheit von 80 Sitzen im Unterhaus verschafft. Doch Johnson hat die Hoffnungen dieser Wähler enttäuscht, dass der EU-Austritt das Ende der herrschenden Technokratie und der Einstieg in eine andere Politik sein würde. Weder stellte Bojo die Kontrolle über die Grenzen wieder her, noch tat er etwas zur Bekämpfung der um sich greifenden Drogen- und Gewaltkriminalität. Statt den Eliten zuzusetzen, entpuppte er sich als Teil des Establishments. Schlimmer noch, er überraschte seine Wähler im Norden mit grünem Fundamentalismus und Steuererhöhungen. Die Pandemie verschaffte ihm etwas Zeit. Der Erfolg des Impfprogramms kam ihm zugute, seine Covid-Erkrankung verlieh ihm Gravitas. Doch davon kann er nun nicht mehr profitieren. Sich wie ein trauriger Hund in den Schmollwinkel zurückzuziehen, macht ihm in Großbritannien keine Freunde. Die wenigsten glauben noch daran, dass er seine Partei in den nächsten Wahlkampf führen wird.

Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass er als am kürzesten amtierender Premier seit Henry Campbell-Bannerman (1905–08) in die Ge­schichte eingehen wird. Johnson ist ein politischer Überlebenskünstler und es fehlt an Rivalen, die ihm die Parteiführung derzeit streitig machen könnten. Schatzkanzler Rishi Sunak begab sich zwar am Tag von Johnsons Entschuldigung im Unterhaus vorausschauend außer Reichweite, um nicht mit in den Abgrund gezogen zu werden. Doch haftet „Rishi Rich“ zu sehr das Image des White-Shoe-Bankers an, um in Arbeiterregionen punkten zu können. Außenministerin Liz Truss wird zwar seit langem als mögliche Nachfolgerin Johnsons gehandelt, hat aber offenbar gerade kein Interesse daran, ihn vom Sockel zu stoßen.

Dabei wäre ein Ende mit Schrecken für die Tories vielleicht besser als ein Schrecken ohne Ende. Denn sollte sich Johnson nicht radikal neu erfinden, dürfte ein abgedroschener Slogan wie „Zeit für einen Wechsel“ schon reichen, um viele Stimmen zurückzugewinnen, die Labour an die Tories verloren hatte. Dass sich mit einem hölzernen Anwalt wie Parteichef Keir Starmer kaum Hoffnung auf reale Veränderungen verbinden lässt, wäre dabei eher zweitrangig. Die Stimmen der völlig Desillusionierten würde Nigel Farage mit seiner in Reform UK umfirmierten Brexit Party einsammeln. Und schon wäre die so mächtig erscheinende Tory-Mehrheit weg. (Börsen-Zeitung,

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