Im BlickfeldEnergiekonzern Leag erfindet sich neu

Braunkohlerevier Lausitz: Was der Bagger so übrig ließ

Daniel Křetínskýs ostdeutscher Versorger Leag will sich im Lausitzer Revier als „grünes Powerhouse“ neu erfinden. Dies soll eine Blaupause für die gesamte Energiewende sein.

Braunkohlerevier Lausitz: Was der Bagger so übrig ließ

Was der Braunkohlebagger so übrig ließ

Daniel Křetínskýs ostdeutscher Versorger Leag will sich im Lausitzer Revier als „grünes Powerhouse“ neu erfinden. Dies soll eine Blaupause für die gesamte Energiewende sein.

Von Andreas Heitker, Berlin/Cottbus

Thorsten Kramer steht am Rande des Cottbuser Ostsees und ihm ist nach Superlativen zumute. „Wir wollen in Deutschland der größte Grünstrom-Erzeuger werden“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns Leag, der bislang sein Geld mit Braunkohle verdient hat. Hier, wo sich heute der größte sogenannte Bergbaufolgesee des Landes befindet, hat das Unternehmen von 1981 bis 2015 Kohle gefördert. Im Hintergrund rauchen die Blöcke des Großkraftwerks Jänschwalde, wo noch bis 2028 Braunkohle verstromt wird. Aber Maschinenbau-Ingenieur Kramer, der Anfang 2022 angetreten ist, eine umfassende Transformation einzuleiten, ist sich sicher, dass sich die Leag als „grünes Powerhouse“ neu erfinden kann. „Dies kann dann eine Blaupause für die gesamte Energiewende in Deutschland sein“, sagt der 62-Jährige.

Am Ufer des riesigen Ostsees, der zurzeit immer noch mit Grund- und vor allem Spree-Wasser geflutet wird, wird derweil an Deutschlands größter schwimmender Solaranlage gearbeitet. Wenn die über 51.000 Module auf die Schwimmkörper montiert sind, bedecken sie in wenigen Monaten eine Fläche von 16 Hektar, also etwa eine Größe von 23 Fußballfeldern. Rund 1% des Sees ist dann bedeckt. Die 29 Megawatt-Floating-PV-Anlage könnte dann theoretisch den Jahresstromverbrauch von 8.250 Haushalten decken. Für den Leag-Chef hat dieses Leuchtturm-Projekt bei der Transformation „überregionale Strahlkraft“.

Wann kommt Kohleausstieg Ost?

Seit zwei Jahren arbeiten Kramer und Dominique Guillou, Chef der gerade erst gegründeten Leag Renewables, bereits an der Zukunftsidee einer „Gigawatt-Factory“. Die Ziele sind gesetzt: Bis 2030 will der Konzern ein Portfolio von 7 Gigawatt (GW) an erneuerbaren Energien aufgebaut haben. 1,2 GW davon sind schon in der Planungs- oder Umsetzungsphase. Die schwimmende Solaranlage auf dem Ostsee gehört natürlich auch dazu.

Dominique Guillou (l.), Chef der Renewables-Sparte, und Leag-Vorstandsvorsitzender Thorsten Kramer vor der Baustelle für die Floating PV-Anlage am Cottbuser Ostsee, wo aktuell rund 51.000 Solarmodule auf Schwimmkörper montiert werden (Foto: picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt).

2040 sollen es schon 14 GW an erneuerbarer Erzeugung sein. Grünes Licht für die damit einhergehende neue Holdingstruktur der Leag und der Gründung neuer operativer Gesellschaften gab der Aufsichtsrat im Juni – nur wenige Tage, nachdem Brüssel 1,75 Mrd. Euro an Entschädigungen freigegeben hat.

Sorgen vor einer Insolvenz

In dem Beihilfeverfahren hatte es monatelanges Gezerre gegeben. Es ging um Entschädigungen, die die Leag für den politisch beschlossenen vorzeitigen Kohleausstieg erhalten soll. Grundsätzlich bleibt es in der Lausitz zwar bei einem Kohleausstieg bis 2038 − anders als im Rheinischen Revier, wo das Datum 2030 mit RWE fest vereinbart wurde. Aber Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat zuletzt wiederholt davon gesprochen, dass „marktgetrieben“ auch in Ostdeutschland ein früherer Ausstieg denkbar ist. Sprich: Die CO2-Preise sorgen schon dafür, dass sich die Kohleverstromung nicht mehr lohnt.

Die Umweltschutzorganisation BUND in Sachsen sieht die neue Konzernstruktur der Leag daher auch mit Sorge und befürchtet, dass die Kohleeinheiten schlicht pleitegehen könnten und die Länder dann auf den Renaturierungs- und Ewigkeitslasten des jahrzehntelangen Bergbaus sitzen bleiben. „Letztendlich wird der steigende CO2-Preis die Kohlekraftwerke bis 2030 aus dem Markt verdrängen. Je länger die Verantwortlichen ihre Augen vor der ökonomischen Realität verschließen, desto wahrscheinlicher wird eine Insolvenz der Leag“, warnt Felix Ekardt, der Vorsitzende des BUND Sachsen, noch Anfang August.

Leag-Chef Kramer verweist dagegen darauf, dass die zuständigen Vorsorgegesellschaften bereits Gelder des Konzerns im hohen dreistelligen Millionen-Bereich erhalten haben und nun auch Mittel aus den Entschädigungszahlungen fließen. Mit den Ländern Brandenburg und Sachsen sei zudem kürzlich eine Absichtserklärung zur Sicherung der Renaturierungskosten abgeschlossen worden. Die organisatorische Trennung der neuen und alten Geschäftsfelder erklärt die Leag-Führung unter anderem mit dem besseren Zugang zu den Banken, den die Erneuerbaren-Gesellschaften künftig hätten.

Rückenwind aus Brüssel

Dass es aber mit der großen grünen Agenda schwierig geworden wäre, wenn die EU-Wettbewerbsbehörde weiterhin den Daumen auf der staatlichen Milliardenhilfe gehabt hätte, räumt auch Vorstandschef Kramer im Gespräch ein. Denn dann hätte die Leag die Renaturierungskosten aus dem laufenden Cashflow bezahlen müssen. Das hätte vieles verzögert.

Der Tagebau im Lausitzer Revier in Jänschwalde sowie nahe der Großkraftwerke Schwarze Pumpe und Boxberg haben zu einem sogenannten Bergbaufolgeland von rund 33.000 Hektar geführt. Land, das die Bagger übrig gelassen haben und nun wieder aufgeforstet wird. Der Leag steht damit ein Potenzial für den Aufbau von Windparks und Fotovoltaikanlagen zur Verfügung, der ein wahrer Schatz ist: riesige Flächen. Wohnungen sind weit weg, und die nötige Infrastruktur ist vielfach schon vorhanden.

Leag will Deutschlands zweitgrößter Stromversorger bleiben

In der Rekultivierung von Jänschwalde, nur wenige Kilometer vom Ostsee mit seinen bald schwimmenden Solarmodulen entfernt, sind bereits große Maschinen im Einsatz, um den lockeren Untergrund mittels einer „Rütteldruckverdichtung“ für den Bau von Windrädern vorzubereiten. Mitte 2026 soll hier der Windpark „Forst Briesnig II“ mit einer Leistung von 105 MW ans Netz gehen. „Forst Briesnig III“ in einer ähnlichen Größenordnung ist bereits in Planung.

Die aktuelle Pipeline der ausgerufenen Gigawatt Factory umfasst insgesamt sogar Projekte mit einer Kapazität von 12 GW. Dazu gehören auch die Wasserstofferzeugung, Energiespeicher sowie wasserstofffähige Gaskraftwerke. Bis 2030 sind derzeit neue Kraftwerke mit einer Erzeugungskapazität von 3 GW geplant. 2040 sollen es bis zu 5 GW sein. „Wir wollen uns den Platz als zweitgrößter Stromversorger im Land nicht streitig machen lassen“, stellt Restrukturierer Kramer klar, der vor seiner Zeit in der Lausitz unter anderem global agierende Industrie- und Energieanlagenbauer beraten hat.

Leags tschechischer Eigentümer Daniel Křetínský (Foto: picture alliance/dpa/CTK | Roman Vondrous)

Mit Leags Eigentümer, dem tschechischen Investor Daniel Křetínský, trifft er sich regelmäßig, um sich mit ihm über die Neuausrichtung des Konzerns auszutauschen. Dem umtriebigen Milliardär gehört seit 2016 neben der Leag auch die Mibrag, die für die Braunkohleförderung im kleineren Mitteldeutschen Revier zuständig ist. Bei der Neuaufstellung beider Unternehmen ergeben sich Synergien: Kern der neuen Leag Renewables war Křetínskýs bisherige EP New Energies, die auch für die Mibrag schon Wind- und Solaranlagen projektiert hat.

Wasserstoff für Thyssenkrupp

Weitere Verbindungen hat Křetínský auch schon ins Ruhrgebiet gelegt. Sein Einstieg bei Deutschlands größtem Stahlhersteller Thyssenkrupp war ausdrücklich auch mit der Erwartung verknüpft worden, als strategischer Partner für die Energieversorgung des ebenfalls mit seiner Transformation kämpfenden Ruhrkonzerns agieren zu können. Konkret genannt wurden dabei die Lieferung von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen. Die grüne Neuerfindung von Leag und Mibrag dürften für diese Überlegungen die Basis sein. Für die kriselnde Stahlsparte von Thyssenkrupp wäre eine langfristig sichere Versorgung mit Wasserstoff auf jeden Fall existenziell wichtig.

Wie RWE im Rheinland, so hat Křetínský mit seinen Plänen nun auch im Osten Deutschlands die letzten Jahre der Braunkohlewirtschaft eingeläutet. Ein weiteres Kapitel der Energiewende wird damit auf absehbare Zeit geschlossen − auch wenn das genaue Schlussjahr für den Ausstieg noch nicht feststeht.

Noch 17 Prozent Braunkohlestrom

Die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken − die als Erzeugung mit dem höchsten CO2-Ausstoß gilt − hat im vergangenen Jahr brutto noch bei 87,2 Terawattstunden (TWh) gelegen, was einem Anteil von immerhin noch 17% der deutschen Stromproduktion entsprach. Im Vergleich zu 1990, also dem Jahr der Wiedervereinigung, hat sich die Braunkohleverstromung in etwa halbiert. Von der damaligen Braunkohleförderung in den Revieren ist heute weniger als ein Drittel übrig geblieben. Von damals fast 130.000 Beschäftigten in der Branche wurde auf etwas mehr als 17.000 heruntergefahren. In der Lausitz werden noch 7.600 Beschäftigte gezählt.

Dass in dieser Situation noch Dörfer weggebaggert werden, stößt längst nicht überall auf Verständnis. In Sachsen ist es der kleine sorbische Ort Mühlrose, der als letzter dem Lausitzer Tagebau Nochtem zum Opfer fällt. 150 Mill. Tonnen Kohle lagern hier in der Erde. Und die möchte die Leag noch gerne im nahen Kraftwerk Boxberg verfeuern. Die Bewohner erhalten Entschädigungen – und können sich sieben Kilometer weiter in „Neu-Mühlrose“ eine neue Heimat suchen.

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