Preisdruck

Brüchige Ketten

Rohstoffe und Energie werden infolge des Ukraine-Kriegs noch teurer. Unternehmen, die die hohen Preise nicht weitergeben können, drohen Absatz­schwierig­keiten und Margendruck.

Brüchige Ketten

Seit Beginn des Ukraine-Krieges sind für die Rohstoff- und Energieversorgung der Wirtschaft Horrorszenarien entworfen worden, die die schlimmsten Alpträume infolge radikaler Klimaschutzideen vergessen machen. Die Turbulenzen treffen die Unternehmen überdies in einer pandemiebedingt schwachen Ausgangssituation, weil die gedämpfte Wirtschaftsaktivität zu historisch niedrigen Lagerbeständen geführt hat. Jenseits der politisch immer dringlicher formulierten Frage, ob ein – sofortiges – Energieembargo gegen Russland geboten wäre, ist auch ein ambitionierter „Umbauplan“, der die Abhängigkeit deutscher Un­ternehmen von fossilen Energieträgern aus Russland vermindern soll, Herausforderung genug. Repower EU soll die von dort kommenden Gasimporte der Gemeinschaft, die auch in Deutschland das größte Klumpenrisiko darstellen, binnen Jahresfrist um zwei Drittel von 150 Mrd. Kubikmeter auf knapp 50 Mrd. reduzieren. Als Ersatz ist ein Mix aus anderen fossilen Rohstoffen – davon allein 50 Mrd. Kubikmeter Flüssiggas – vorgesehen sowie ein Beitrag von 20 Mrd. Kubikmetern aus erneuerbaren Energien, 14 Mrd. Kubikmeter sollen nicht zuletzt aus Effizienzsteigerungsmaßnahmen gewonnen werden.

Der geplante Umbau dürfte daher von schmerzhaften Geburtswehen begleitet sein, die die energieintensiven Branchen, allen voran Chemie und Schwerindustrie, am stärksten treffen. Schon der scheinbar relativ einfache Schritt, den der Ersatz von Gas durch Flüssiggas darstellt, ist nicht nur in der Praxis schwierig, weil die geeigneten Transportwege für die nötigen Volumina noch fehlen, sondern dürfte auch nur zu erheblich höheren Kosten möglich sein – da das Gas in der Regel aus den USA oder aus Katar nach Europa bzw .Deutschland gebracht werden muss. Auch eine gesteigerte Energieeffizienz oder die Nutzung Erneuerbarer sind zunächst mit erheblichen Investitionen verbunden. All diese Kosten sind für die Unternehmen derzeit noch schwerlich kalkulierbar. Aber dass ein sich abzeichnender Ertragsdruck vollständig durch Kosteneinsparungen aufgefangen werden kann, ist schon deshalb illusorisch, weil viele Firmen in den zurückliegenden Pandemiejahren vielfach bereits eine Rosskur durchlaufen haben. Es wird kaum möglich sein, die Zitronen zwei Mal auszupressen.

In welchem Umfang sich gestiegene Energiepreise in einer Kettenreaktion von primär getroffenen Branchen auf andere oder auch auf Endkunden überwälzen lassen, ist ebenfalls eine offene Frage. In einer Schlüsselbranche wie der Logistik muss offensichtlich die Weitergabe der in Abhängigkeit vom Ölpreis gestiegenen Treibstoffkosten gelingen. Das mittelständisch geprägte Speditionsgewerbe wäre angesichts massiv gestiegener Ausgaben von einer Insolvenzwelle bedroht, wenn die Tankrechnung nicht weitergegeben werden könnte. In der Grundversorgung lässt sich dies am ehesten durchsetzen: Der Lebensmitteleinzelhandel hat bereits reagiert und erhöht die Endkundenpreise für viele Produkte. Indes ist es möglicherweise nicht selbstverständlich, dass ein Rohstoff- oder Energiekostenschub auch in anderen Branchen nahtlos auf die Kunden abgewälzt werden kann. Der Modeeinzelhandel, auch Online-Händler beispielsweise dürften sich deutlich schwerer tun. Starke Preisanhebungen könnten bei den Kunden eher Sparreflexe auslösen. Dasselbe gilt für die – gebeutelte – Luftfahrt und die Touristikbranche. Immerhin kann dieser Sektor auf eine gewisse Konsumlaune hoffen, die durch die erzwungene Ersparnisbildung während der Pandemie gestützt wird.

Auch Stahlhersteller, die traditionell besonders hohe Energiekosten zu schultern haben, könnten sich bei einer Weitergabe an einige ihrer Kunden ebenfalls schwertun. Die Automobilindustrie etwa und ihre Zulieferer, die in der Digitalisierung relativ weit fortgeschritten sind, sind hierzulande auch in der Pandemie alles in allem glimpflich davongekommen – im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen. Die wohlgenährten Autohersteller haben wohl mit die größten Spielräume in der Kostensenkung, um steigende Rohstoff- und Energiepreise abzufangen – theoretisch jedenfalls, denn der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad setzt vielen Sparmaßnahmen Grenzen. Bei den Zulieferern, die sich durch die Transformation zur Elektromobilität im Einzelfall vor erheblichen Herausforderungen sehen, ist ein neuer Kostenblock allerdings nicht leicht zu schultern. Insgesamt sind nicht nur die Lieferketten brüchig. Auch bei der Verarbeitung des Rohstoff- und Energiepreisschocks kann bei der Weitergabe die Kette reißen.

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