Mailand

Chinas diskreter Einfluss in Italien

Offiziell 320.000 Chinesen leben in Italien. Inoffiziell ist es wohl die doppelte Zahl. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den langen Arm Pekings nach Rom – und das Stillschweigen der italienischen Regierung.

Chinas diskreter Einfluss in Italien

Wer durch die Mailänder Via Paolo Sarpi und die umliegenden Straßen geht, fühlt sich fast wie in China. Restaurants, Kleidungs- und Stoffgeschäfte, Elektronikläden und eine fünfstöckige Oriental Mall mit Lebensmittelgeschäften – alles ist chinesisch. Zwischen dem schicken Brera-Viertel und dem Hauptbahnhof erstreckt sich das ehemalige Textilviertel, in dem sich schon in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die ersten Chinesen ansiedelten. In den achtziger Jahren folgte eine regelrechte Einwanderungswelle in Mailands Chinatown.

Offiziell 320000 Chinesen leben in Italien. Inoffiziell ist es wohl die doppelte Zahl. Sie leben in Mailand oder Rom oder in Prato bei Florenz, wo angeblich bis zu 60000 der 200000 Einwohner aus China kommen, die meisten aus Fuzhou in der Provinz Fujian. So wie ihre Landsleute in Mailand führen sie ein für die Öffentlichkeit fast unsichtbares Leben. In Prato arbeiten, essen und schlafen viele von ihnen in dunklen, engen Räumen, Werkstätten und Fabriken und produzieren fast rund um die Uhr für Spottpreise die sogenannte Pronta Moda, Billigmode, die mit dem Siegel „Made in Italy“ verkauft werden darf. Viele Beobachter in Italien machen die engen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sogar für den Ausbruch der Corona-Pandemie verantwortlich, die Anfang 2020 zuerst Italien traf.

Auffällig war damals, dass die chinesischen Geschäfte in Mailand und die etwa 4000 Modeunternehmen in Prato schon deutlich vor dem allgemeinen Lockdown schlossen. Die chinesische Gemeinschaft regelt ihre Angelegenheiten lieber unter sich und schaltet ungern die italienischen Behörden ein.

Für großes Aufsehen sorgte in diesem Herbst ein Bericht der Zeitung „Il Foglio“. Demnach gibt es nämlich in ganz Italien, aber nicht nur dort, chinesische Polizeistationen, die quasi eine Art Staat im Staate sind. Nach Auskunft der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders sind es allein in Italien elf Stationen, weltweit 102 in 53 Ländern.

Laura Harth, eine Repräsentantin der Organisation, berichtete kurz vor Weihnachten vor den Vertretern der Auslandspresse in Rom Details. Demzufolge überwachen die Polizeistationen, die sich offiziell als eine Art Kulturorganisation tarnen, ihre Landsleute und achten darauf, dass sie nicht zu kritisch gegenüber China sind. Notfalls werde eine Rückkehr nach China mit Zwang gefördert: durch Drohungen, Verwandte in der Heimat zu bestrafen, und bisweilen auch mit drastischeren Methoden, etwa indem Betroffene in ein Drittland gelockt und von dort quasi in die Heimat entführt würden. Safeguard Defenders beruft sich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen und listet viele tausend solcher Zwangsrückführungen auf. Es dürfte auch eine hohe Dunkelziffer geben. Harth beklagt das lasche Vorgehen der Behörden in vielen Ländern, vor allem in Italien und Frankreich. Es fehle jegliche Koordinierung zwischen den Staaten. Nur in Kanada seien offizielle Untersuchungen eingeleitet worden, in den USA werde drei konkreten Fällen nachgegangen. Roms Innenminister Matteo Piantedosi hat vor dem Parlament „Untersuchungen“ von Vorfällen angekündigt. Aber ob da viel herauskommt? Das Thema ist wieder aus den Schlagzeilen.

Rom pflegt seit langer Zeit enge Beziehungen zu China. 2015 wurden gemeinsame Polizeipatrouillen vereinbart mit dem Ziel, Menschenhandel, illegale Migration und Prostitution zu bekämpfen. Und unter Ministerpräsident Giuseppe Conte ist die Zusammenarbeit im Zuge der Seidenstraßeninitiative Pekings intensiviert worden. Chinesen, die schon bei Pininfarina, Pirelli, Unicredit, Eni und Enel an Bord sind, stiegen bei Terminals der Häfen in Triest und Genua ein. Angeblich wird sanfter Druck auf die in China vertretenen italienischen Unternehmen ausgeübt, mäßigend auf die Regierung in Rom einzuwirken, etwa was die Frage der Uiguren anbelangt.

Es ist kaum zu erwarten, dass Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Kurs gegenüber Peking verschärfen wird. Beim G7-Treffen im November auf Bali traf sie sich mit Ministerpräsident Xi Jinping, der sie nach China einlud. Die Verlängerung des mit Conte vereinbarten Seidenstraßenabkommens steht an. Wenn es Rom nicht bis zum März kündigt, verlängert es sich automatisch.