Unterm Strich

Daimlers Anker im Reich der Mitte

Daimlers Aktionärskreis war immer schon ein Politikum. Bei allem Stirnrunzeln über die chinesischen Großaktionäre: Sie bedeuten Daimlers Zukunft.

Daimlers Anker im Reich der Mitte

Das Timing hätte unglücklicher nicht sein können. Kaum ist die neue Bundesregierung im Amt, deren Außenministerin einen deutlich schärferen Ton im Umgang mit Menschenrechte nicht achtenden Ländern wie China ankündigt, macht der staatlich geführte Autobauer Beijing Automotive Group (BAIC) eine fast doppelt so hohe Beteiligung an der deutschen Industrie-Ikone Daimler öffentlich wie bisher bekannt. Mit anfangs der Woche gemeldeten 9,98% am Aktienkapital ist BAIC der größte Aktionär von Daimler, zusammen mit den 9,7% des chinesischen Investors Li Shufu liegt also ein Fünftel der Daimler-Aktien in Händen chinesischer Großaktionäre. Zugespitzt könnte man auch sagen: in den Händen eines Unrechtsregimes. Denn dass sich in China dem Willen der Kommunistischen Partei jeder noch so große Konzern oder milliardenschwere Investor unterzuordnen hat, haben die zurückliegenden Monate bewiesen.

Langjährige Kooperation

Wie ungelegen die formal vom Daimler-Truck-Spin-off ausgelöste Aufdeckung der Beteiligungshöhe den Stuttgartern zum gegenwärtigen Zeitpunkt kam, lassen die Formulierungen in der einschlägigen Pressemitteilung erahnen. Dort wird die Beteiligung als „Bekenntnis“ des langjährigen Partners zu Daimler gewertet und umgehend darauf aufmerksam gemacht, dass BAIC die knapp 10% ja bereits seit dem Jahr 2019 halte. Will heißen: Es handelt sich also nicht um einen aktuellen Versuch größerer Einflussnahme oder gar zur Vorbereitung einer Übernahme zu einem Zeitpunkt, da Daimler offenkundig mit dem Konzernumbau in Richtung Elektromobilität gute Fortschritte macht, die Börsenbewertung dies aber noch nicht angemessen spiegelt. Manch einer erinnert sich: BAIC hatte schon vor Jahren angefragt, ob man weitere Daimler-Aktien nicht mit Rabatt erhalten könnte. Der Daimler-Vorstand verwies seinerzeit auf die Börse, über die man ja Aktien kaufen könne. Was dann wohl auch geschah, bis knapp unter die meldepflichtige Höhe von 10%. Heute betont Daimler in der Pressemitteilung, BAIC habe bestätigt, ihren Anteil an Daimler nicht weiter zu erhöhen – und wertberichtigt damit stante pede das so überschwänglich begrüßte „Bekenntnis“.

Und um jeglichen Verdacht eines einseitigen Know-how-Transfers ins Reich der Mitte im Keim zu ersticken, wird auf die Kreuzbeteiligung verwiesen. Denn Daimler hält umgekehrt 9,55% an der in Hongkong gelisteten BAIC-Tochter BAIC Motor sowie eine Beteiligung von 2,46% an der in Schanghai notierten BAIC Bluepark. In der Tat ist Daimler seit beinahe 20 Jahren in China mit dem Partner BAIC unterwegs, mit dem sie in zwei Joint Ventures Mercedes-Pkw produziert und vertreibt. Die dortige Minderheitsposition von 49% an Beijing Benz Automotive demnächst in eine Mehrheit wandeln und damit BBAC voll konsolidieren zu können, darauf hofft man in Stuttgart. Schließlich ist China der größte Einzelmarkt für Mercedes-Pkw und stand 2020 für 36% des Absatzes.

Im Sog der Petrodollars

Daimlers Aktionärskreis war immer schon ein Politikum. Die Sorge um einen Ausverkauf ins Ausland schwang bei jeder größeren Veränderung mit. Das war vor allem in den 1970er Jahren der Fall, als zunächst der Industrielle Herbert Quandt für seine 14% des Daimler-Kapitals einen Käufer suchte und schließlich im Spätherbst 1974 mit den Kuwaitis fündig und einig wurde. Der Staatsfonds aus dem Emirat suchte einen sicheren Hafen für seine Petro­dollars, was damals bei der neu ins Amt gekommenen Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt mehr als nur ein Stirnrunzeln auslöste. Die Sorge vor einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft an die Ölscheichs war damals mindestens so groß wie heute die Angst vor einem Know-how-Klau durch chinesische Investoren.

Der Weiße Ritter MAH

Für das Emirat war es eine lohnende Investition, denn aus dem Aktienpaket von seinerzeit 1 Mrd. D-Mark wurde ein Wert von 5 Mrd. Euro. Nicht minder groß war kurz nach dem Einstieg Kuwaits die Sorge, dass das knapp 40% ausmachende Aktienpaket des Daimler-Hauptaktionärs Friedrich Karl Flick an den Schah von Persien verkauft würde. Quasi im letzten Augenblick übernahm die Deutsche Bank knapp 30% der Daimler-Aktien zu den bereits mit dem Schah ausgehandelten Bedingungen und parkte sie in der eigens dafür gegründeten Mercedes Aktiengesellschaft Holding (MAH). Denn die Deutsche Bank war bereits mit 25% Minderheitsaktionär und die politische Großwetterlage in Deutschland zeigte eher eine Verringerung der industriellen Beteiligungen der Banken an. Doch die Pakete von Kuwait und potenziell Iran hätten bei Daimler-Benz mit 53% die Mehrheit der arabischen Großaktionäre bedeutet. Daran war weder dem Autobauer noch der Bundesregierung gelegen.

Tür zur Zukunft

Geradezu selbstlos verwaltet der Ankeraktionär Kuwait seither sein Daimler-Engagement, beansprucht weder einen Sitz im Aufsichtsrat noch Mitsprache bei strategischen Weichenstellungen. Da er bei Kapitalerhöhungen nicht immer mitzog, reduzierte sich zwar die Beteiligung im Lauf der Jahre auf zuletzt 6,8%. Doch Kuwaits Wert als loyaler Investor ging über diese Prozente hinaus. Denn anders als Volkswagen oder BMW hatte Daimler seit Jahrzehnten keinen familiären Ankeraktionär mehr, der eine feindliche Übernahme verhindern oder lästige aktivistische Investoren und Hedgefonds neutralisieren könnte. Nun haben chinesische Großaktionäre diese Rolle Kuwaits übernommen. Mehr noch: Daimlers Anker im Reich der Mitte sichert in Zeiten des Umbruchs nicht nur den Status quo, sondern bedeutet für den Erfinder des Automobils die Zukunft – durch Zugang zum zentralen Wachstumsmarkt der Elektromobilität. Daran wird auch der neuen Bundesregierung gelegen sein.

c.doering@boersen-zeitung.de

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