Das ignorierte Risiko
Pandemien
Das ignorierte Risiko
Verdrängung ist keine Lösung. Die Wirtschaft muss sich auf weitere Pandemien vorbereiten. Resilienz ist gefragt.
Von Michael Flämig
US-Präsident Donald Trump hat acht Stunden nach Ablegen seines Amtseids am 20. Januar verfügt: Die Vereinigten Staaten werden aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) austreten. Exakt fünf Jahre zuvor, am 20. Januar 2020, hatte die chinesische Regierung die Welt erstmals offiziell über die Corona-Seuche informiert.
Der zeitliche Zufall führt vor Augen: Die Lehren der Pandemie sind schon wieder weitgehend vergessen, Ignoranz leitet die US-Politik. Statt derartige globale Krisen vernetzt und gemeinsam anzugehen, hat das Trump-Amerika auch in der Gesundheitspolitik nur das angebliche nationale Interesse im Blick. Das ist kurzsichtig, denn das nächste Seuchen-Virus wird sich wie Corona nicht um Landesgrenzen kümmern.
Produktrückrufe wichtiger Pandemie
Auch die Wirtschaft verschließt die Augen. Unter den wichtigsten Geschäftsrisiken steht eine Pandemie nur auf Platz 19, hat der Versicherer Allianz Commercial in seiner jährlichen Befragung von mehr als 3.700 Risikomanagern weltweit ermittelt. Damit rangiert es sogar hinter der Gefahr von Produktrückrufen. Zum Vergleich: Unmittelbar vor der Coronakrise war es sogar auf dem 17. Rang.
Nun haben Unternehmenslenker im Alltagsgeschäft eben größere Herausforderungen zu meistern als das abstrakte Risiko einer Pandemie. Trotzdem wird das Risiko in den Vorständen zu Unrecht ignoriert, wie zwei Überlegungen zeigen.
Erstens: So gering die Eintrittswahrscheinlichkeit sein mag, so existenzbedrohend für Firmen ist das Risiko. Was helfen jahrelange operative Erfolge, wenn sie – sagen wir mal – alle Vierteljahrhunderte ausradiert werden? Nichts. Wer sich nach der Corona-Erfahrung nur auf staatliche Hilfsprogramme verlässt, der wagt ein gefährliches Spiel.
Zweitens: Die Wahrscheinlichkeit von weiteren Pandemien mag weiterhin geringer sein als beispielsweise die Gefahr von Cyberangriffen, aber der Klimawandel erhöht sie signifikant. Denn steigende Temperaturen zwingen viele Tierarten, sich neue Lebensräume zu suchen – dort treffen sie auf Wirbeltiere, die ihnen zuvor nie begegnet sind. Ein Eldorado für Krankheitserreger. Einer Studie zufolge wird es bei einem Temperaturanstieg um 2 Grad bis zum Jahr 2070 bis zu 15.000 neue Virusübertragungen zwischen den Tierarten geben.
Investitionen in Resilienz
Wenn derartige Infektionskrankheiten auf den Menschen überspringen, dann kommt es zu der befürchteten Zoonose. So eine Virenübertragung stand nach Meinung der meisten Wissenschaftler auch am Beginn der Corona-Pandemie. Die WHO hat ermittelt, dass beispielsweise die Zoonosen in Afrika in den Zehnerjahren um fast zwei Drittel im Vergleich zur vorherigen Dekade zugelegt haben.
Gute Unternehmensführung sollte sich daher auf Pandemien vorbereiten. Dies ist leichter gefordert als getan, weil jedes Seuchen-Virus anders auftreten wird. Grundsätzlich gilt dennoch: Firmen müssen in ihre Resilienz investieren. Nur wer Lieferketten immer wieder einem Stresstest aussetzt, nur wer stabile Fernwartung vorhält, nur wer das Umschalten von Büro-Arbeitsplätzen auf 100% Homeoffice vorbereitet hat, nur wer Konzepte für interne Krisenkommunikation aus der Schublade ziehen kann, nur wer gewisse finanzielle Rücklagen besitzt, der wird die nächste Pandemie vernünftig managen können.
Es fehlen Pandemie-Versicherungen
Vorsichtsmaßnahmen dieser Art mögen die Beschäftigten erst einmal irritierend finden. Aber letztlich vermitteln sie ein Gefühl von Sicherheit. Gesellschaftlich ist der größte Verlust, den die Pandemie gebracht hat: Institutionen und insbesondere Regierungen haben drastisch an Vertrauen eingebüßt. Firmen können dies nicht ungeschehen machen. Aber sie können auch an dieser Stelle ihren Beitrag leisten, dass es sich nicht wiederholt.
Die Pandemie-Vorsorge krankt auch anderswo: Eine Pandemie-Versicherung gibt es nicht. Ein Interesse von Regierungen, ein derartiges Konstrukt in Zusammenarbeit mit der Assekuranz zu schaffen, ist nicht mehr zu erkennen. Ignorieren ist aber an dieser Stelle ebenfalls keine Lösung.