Online-Modehandel

Dem Boom folgt Frust

Die Corona-Pandemie hat dem Online-Modehandel einen ungeahnten Boom beschert, doch nun herrscht Katerstimmung. Die Aktienkurse stürzen ab, die Unternehmen plagen sich mit Kostenproblemen.

Dem Boom folgt Frust

Für Online-Modehändler hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Lange feierten Investoren die Unternehmen für ihre Wachstumssprünge, doch nun erlebt die Branche die Kehrseite des Booms. Mit dem Abflauen der Corona-Pandemie ist die Expansion ins Stottern geraten. Und die Erträge stehen massiv unter Druck. Die fehlende Kauflust der Verbraucher und nachlassende Skaleneffekte setzen den Internet-Verkäufern zu. Europas größter Online-Modehändler Zalando muss seine Jahresprognose drastisch zusammenstreichen. Wer einkaufen geht, hat nach zwei Jahren mit Ladenschließungen, Kontaktbeschränkungen und Ansteckungsangst jetzt eher Lust, durch Geschäfte zu bummeln und Ware physisch statt virtuell in Augenschein zu nehmen.

Die Börse quittiert die geschäftliche Schwäche mit massiven Kursabschlägen. Seit Jahresanfang hat Zalando mehr als 60% ihres Werts verloren. Gemessen am Hoch vom Juli 2021 sind es sogar drei Viertel. Mit Notierungen um 25/26 Euro rückt der Emissionspreis bedrohlich nahe. Dieser stammt vom Herbst 2014 (!) und lag bei 21,50 Euro. Die Aktie des Rivalen und Börsenneulings About You, der vor allem das junge Publikum adressiert, ist im ersten Jahr ihres Kapitalmarktdaseins um gut 70% abgestürzt. Anleger, die Papiere britischer Online-Modeverkäufer im Portfolio haben, stehen keinesfalls besser da. Die Aktie von Boohoo notiert auf dem niedrigsten Stand seit 2016, die von Asos auf dem tiefsten seit 2010.

Der Ukraine-Krieg und die rasante Verteuerung von Energie und Lebensmitteln sorgen für triste Stimmung unter Verbrauchern. Denn die Inflation lässt die Kaufkraft schrumpfen. Viele Menschen haben momentan anderes im Kopf als die Suche nach trendigen Ergänzungen für den meist ohnehin proppevollen Kleiderschrank. Die schwache Nachfrage geht einher mit steigenden Aufwendungen. Bei Zalando sind die Logistikkosten je Bestellung in den ersten drei Monaten um 10% geklettert. Dahinter stecken nicht nur höhere Spritpreise, sondern auch mehr Retouren und niedrige Auslieferungsvolumina. Fehler im Einkauf belasten ebenfalls. Aus Angst vor Unterbrechungen in den Lieferketten hatte das Management zu viel Ware eingekauft und zudem Verschiebungen in der Kundennachfrage falsch antizipiert. Die Folge waren Überbestände, die mit Abschlägen in den Markt gedrückt werden müssen. Solche Fehldispositionen gehen ins Geld in einer Branche, in der das, was heute hip ist, in wenigen Monaten wieder out ist.

Hinter dem Kurssturz des Branchenprimus steckt aber mehr als schwache Geschäftszahlen. Insider berichten von schlechter Stimmung, wichtige Leistungsträger gehen. Im Topmanagement wirkt das Ausscheiden von Co-CEO Rubin Ritter nach, der Zalando vor einem Jahr verließ. Die Gründer Robert Gentz und David Schneider und die anderen Vorstände tun sich schwer, diese Lücke zu füllen. Denn Ritter, der dank seiner Aktienoptionen fürstliche Vergütungen erhielt, galt als strategischer Kopf des Unternehmens.

Zalando und die anderen Branchenplayer stehen nun vor der Herausforderung, die davonlaufenden Kosten einzudämmen. Ein Ansatz sind zusätzliche Mindestwerte für die kostenfreie Zustellung. Zalando will solche Untergrenzen in weiteren Ländern einführen, darunter Deutschland. Das macht Minibestellungen weniger attraktiv, ist aber kein Allheilmittel. Kunden können die Mindestvolumina umgehen, indem sie einfach mehr Ware bestellen und die Artikel zurückschicken, die sie gar nicht haben wollen.

Mehr denn je machen den Modeverkäufern die hohen Retouren zu schaffen. Ging man bisher davon aus, dass in Deutschland jede zweite Bestellung an den Händler zurückgeht, sollen es inzwischen etwa 60% und teilweise sogar über 70% sein. Solche Rücklaufquoten sind sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht ein Irrsinn. Für Kunden sind die Retouren meist kostenfrei, so dass der Verkäufer für den Rücktransport aufkommen muss und darüber hinaus für die Aufarbeitung der zurückgegebenen Kleidungsstücke. Oft genug landen die Artikel dann im Sonderverkauf oder sogar im Müll. Einzelne An­bieter wie Zara und der japanische Bekleidungshändler Uniqlo ziehen Konsequenzen und führen eine pauschale Rücksendegebühr ein, doch die meisten Player halten am Prinzip der kostenlosen Retouren fest. Sie haben den Kunden an den risikolosen Einkauf gewöhnt und fürchten nun, dass bei einer Abkehr von dem Grundsatz der Absatz einbricht. Man darf gespannt sein, wie die Branche aus diesem Dilemma herauskommen will.(Börsen-Zeitung, 24.6.2022)

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