Den Impfstoff-Chefs auf den Zahn gefühlt
Einen besonderen Coup landete gestern das Europaparlament: Dem Umwelt- und dem Industrieausschuss gelang es, zu einer öffentlichen Anhörung gleich sieben Chefs oder zumindest führende Manager der großen Corona-Impfstoff-Produzenten an einen (virtuellen) Tisch zu bekommen. Einen solch hochkarätigen Impfstoffgipfel mit Industrievertretern hat es bislang wohl noch nicht gegeben – zumindest nicht in der EU. Und so standen den Abgeordneten der beiden Ausschüsse die Verantwortlichen von AstraZeneca, Moderna, Pfizer, Johnson & Johnson, Curevac, Novavax und Sanofi drei Stunden lang Rede und Antwort. Es sind die Unternehmen, deren Vakzine zurzeit überall ungeduldig erwartet werden, weshalb sich bereits dubiose Schwarzmärkte gebildet haben. Aus Kreisen der EU-Kommission und der EU-Antibetrugsbehörde (Olaf) wurde gestern berichtet, dass den Mitgliedstaaten bereits mehrere hundert Millionen Dosen der Covid-Impfstoffe angeboten wurden – und zwar nicht von den Pharmaunternehmen, die ihre Produkte eigentlich nur direkt an die Regierungen beziehungsweise die EU-Kommission vermarkten. In einigen Meldungen war von 400 Millionen Dosen solcher „Geisterimpfstoffe“ mit einem Marktwert von 3 Mrd. Euro die Rede. Reuters berichtete sogar von 900 Millionen Dosen, die 12,7 Mrd. Euro hätten kosten sollen. „Keiner weiß, was in diesen Fläschchen tatsächlich drin ist“, sagte ein EU-Vertreter der Nachrichtenagentur. Wer auch immer versucht, aus der Pandemie so seinen Vorteil zu schlagen: Olaf und Europol haben Ermittlungen aufgenommen.
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Dass es auch bei AstraZeneca um Gewinne gehen könnte, das wies CEO Pascal Soriot gestern bei der Anhörung im EU-Parlament gleich mehrfach zurück. Sein Unternehmen wolle global seinen Impfstoff bereitstellen, ohne an Herstellung und Lieferung verdienen zu wollen, betonte er. Soriot war bei der Anhörung sicherlich der gefragteste Mann. Immer wieder wurde er auf die Lieferkürzungen an die EU oder die angebliche Bevorzugung Großbritanniens angesprochen. Viele neue Erkenntnisse brachte das nicht. Soriot berichtete von den Plänen, die monatliche Produktion auf bis zu 200 Millionen Dosen hochzufahren, und von den Schwierigkeiten einer Herstellung, bei der über 1000 Stoffe berücksichtigt werden müssten. AstraZeneca liefere so, wie in den Verträgen vorgesehen, und wolle den Erwartungen gerecht werden, so der CEO.
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Es scheint sich in Europa so langsam ja ohnehin herumgesprochen zu haben, dass das Impfproblem der EU mehr mit dem zu langsamen Aufbau von Produktionsinfrastrukturen und den äußerst komplexen Herstellungsprozessen und Lieferketten zu tun hat als mit den zögerlichen Bestellungen der EU-Kommission. Moderna-CEO Stéphane Bancel verwies gestern noch einmal darauf, dass sein Unternehmen vor einem Jahr noch weder eine Produktion noch Lieferketten in Europa hatte. Der Aufbau dauere normalerweise bis zu vier Jahre. Von daher sei man mit Hilfe von Partnerschaften in der Schweiz, in Spanien oder bald in Frankreich schon schnell vorangekommen.
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Die interessantesten Erkenntnisse in der Anhörung lieferten sicherlich Curevac-CEO Franz-Werner Haas und der Präsident und CEO von Novavax, Stan Erck. Die Vakzine beider Unternehmen sind noch nicht in der Zulassungsphase, sollen die EU aber einen entscheidenden Schritt weiterbringen: Beim Tübinger Unternehmen hat Brüssel bereits bis zu 405 Millionen Dosen bestellt. Mit Novavax wurden bereits Sondierungsgespräche für eine Bestellung von bis zu 200 Millionen Dosen abgeschlossen. Haas hofft, eine Zulassung Ende Mai/Anfang Juni zu erhalten. Curevac will 2022 schon mehr als eine Milliarde Impfdosen produzieren und rechnet mit einer „hohen Wirksamkeit“. Und Novavax will mittelfristig sogar zwei Milliarden Dosen produzieren. Erck sprach gestern von einer bisher festgestellten Wirksamkeit beim Ursprungsvirus von sagenhaften 96%. Weitere Informationen folgen im zweiten Quartal.