Der Countdown läuft
Von Annette Becker, Köln
Die Turbulenzen beim Kölner Motorenbauer Deutz haben kürzlich ein Schlaglicht auf ein Thema gelenkt, das in vielen Aufsichtsräten heiß diskutiert wird: die Zusammensetzung des Vorstands in börsennotierten, mitbestimmten Unternehmen. Dabei hat sich 2021 gemäß einem Bericht der Allbright-Stiftung, der auf Daten aus dem vorigen September beruht, schon viel getan. So hat sich die Zahl der Vorständinnen bei den 160 Unternehmen der Dax-Familie binnen Jahresfrist um 25 erhöht. Zugleich beriefen 20 Unternehmen erstmals eine Frau in den Vorstand, so viele wie nie zuvor.
24 ohne Frau im Vorstand
Nachgeholfen hat dabei sicherlich das zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II), das im vorigen Sommer in Kraft getreten ist. Nach einer Übergangsfrist von einem Jahr wird es zum 1. August dieses Jahres wirksam. Von diesem Zeitpunkt an, müssen börsennotierte, paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern mindestens einen Vorstandsposten mit einer Frau besetzen. Nach einer Aufstellung der FidAR – Die Initiative für mehr Frauen in die Aufsichtsräte − unterliegen 66 der 106 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen dem gesetzlichen Mindestbeteiligungsgebot. Von den 66 Unternehmen, die unter das FüPoG II fallen, haben gemäß dem Women-on-Board-Index 24 Firmen keine Frau im Vorstand.
Die Pflicht zur Diversität gilt allerdings nur bei der Neubesetzung von Vorstandsposten, was auch die Verlängerung von Vorstandsverträgen beinhaltet. Daher fürchten Governance-Experten, dass Unternehmen Vorstandsverträge noch vor August 2022 vorzeitig verlängern werden, um sich mehr Zeit zu verschaffen. Die Folge: Die neue gesetzliche Vorgabe dürfte erst von 2026 an weiträumig greifen. Werden die gesetzlichen Vorgaben nicht befolgt, bleibt der Vorstandsstuhl leer.
Nicht auszuschließen ist zudem, dass Unternehmen den Vorstand auf drei Köpfe verkleinern, um gar nicht erst in den Anwendungsbereich des Gesetzes zu fallen. Diese Idee hatte zunächst auch Deutz-Aufsichtsratschef Bernd Bohr verfolgt, war damit aber in Teilen des Vorstands auf Granit gestoßen. Vor gut einer Woche eskalierte der Streit, Vorstandschef Frank Hiller wurde abberufen. Der damit frei gewordene Vorstandsposten soll nun mit einer Frau besetzt werden.
Wenngleich Deutz auch mit einem vierköpfigen, rein männlich besetzten Vorstand gesetzeskonform in die Zukunft gesteuert wäre, wäre es zu einem Konflikt mit der eigenen Zielsetzung gekommen. Denn ausweislich des Geschäftsberichts 2020 hat der Aufsichtsrat festgelegt, dass dem Vorstand bis 30. Juni 2022 mindestens eine Frau angehören soll.
Die Pflicht zur Angabe einer Zielquote wurde mit dem ersten FüPoG 2015 eingeführt. Allerdings dürfte der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen sein, dass sich zahlreiche Unternehmen eine Zielquote von null setzen würden. Hinzu kam, dass die Verfehlung der Zielgröße keine harten Folgen hatte.
Folgerichtig wurde mit dem FüPoG II auch an dieser Stelle nachgeschärft. Unternehmen, die sich künftig eine Zielquote von 0 % setzen, sind verpflichtet, ein solches Vorgehen zu begründen. Wer das nicht tut oder ganz auf eine Zielgröße verzichtet, soll künftig effizienter sanktioniert werden, sprich, er muss ein Bußgeld entrichten.
Von den 66 Unternehmen, die unter das FüPoG II fallen, haben immerhin zwölf Firmen eine Zielgröße von null verankert. Die Allbright-Stiftung zählt sogar 37 Unternehmen in Dax, MDax und SDax, die sich einen Frauenanteil von null zum Ziel setzen. Darunter befinden sich mit Delivery Hero und Hellofresh gleich zwei Unternehmen aus dem Dax.
Bei institutionellen Investoren sorgt eine derartige Verweigerungshaltung zunehmend für Stirnrunzeln. „Wir sehen eine Zielgröße von 0 % sehr kritisch. Seit diesem Jahr ist eine solche Zielgröße ein Grund für die Entlastungsverweigerung“, sagt Kristina Kern, ESG-Analystin bei Union Investment. Inwieweit sich die Unternehmen die Kritik zu Herzen nehmen, dürfte sich schon in den Geschäftsberichten 2021 zeigen. Denn für die neuen Berichtspflichten gemäß FüPoG II gibt es anders als für die Vorstandsbesetzung keine Übergangsfristen.
Nachwuchsprobleme
„Viele Unternehmen haben das Problem fehlender Diversität erkannt, die Lösung erfolgt jedoch nicht überall in hinreichender Geschwindigkeit“, moniert Kern. Unternehmen begründen ihre wenig ambitionierten Zielsetzungen in puncto Diversität gerne damit, dass Frauen in den relevanten naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen unterrepräsentiert seien. Diese Argumentation lenkt allerdings auch von eigenen Versäumnissen ab. Denn häufig haben die Firmen schlicht zu spät damit begonnen, auf den dem Vorstand nachgelagerten Führungsebenen für weiblichen Nachwuchs zu sorgen. Ganz abgesehen davon, dass die Hälfte der Vorstandsmitglieder in Deutschland Wirtschaftswissenschaftler sind, wie die Allbright-Stiftung ermittelt hat.